Denn vergeben wird dir nie
mich damals in der Kirche
zum Lachen gebracht hatte.
Joan lächelte. »Das hat sie auch manchmal bei den
Schulversammlungen mit mir gemacht. Andrea konnte
einfach weiter mit unbewegtem Gesicht dastehen, und ich
bekam den Ärger, weil ich während der Rede des Rektors
gelacht hatte.«
Sie nippte nachdenklich an ihrem Kaffee und fuhr fort:
»Meine Eltern sind in Ordnung, aber ehrlich gesagt war
es nie wirklich lustig mit ihnen. Wir sind nie in ein
Restaurant essen gegangen, weil mein Vater immer sagte,
das Essen sei billiger und schmecke besser zu Hause. Zum
Glück ist er etwas lockerer geworden, jetzt, wo sie sich in
Florida zur Ruhe gesetzt haben.«
Sie lachte. »Aber wenn sie ausgehen, dann nur unter der
Bedingung, dass sie schon um fünf Uhr im Lokal sind,
damit sie die billigeren Preise für die frühen Gäste
bekommen, und wenn sie beschließen, vorher einen
Cocktail zu trinken, dann machen sie ihn zu Hause fertig
und trinken ihn, bevor sie ins Restaurant gehen, im Auto
auf dem Parkplatz. Was sagst du dazu?«
Nach einer Pause fügte sie hinzu: »Ich meine, es wäre
etwas anderes, wenn er es sich nicht leisten könnte, aber
natürlich kann er das. Dad ist einfach ein alter Geizkragen.
Meine Mutter behauptet, er habe immer noch das Geld
von seiner Erstkommunion.«
Sie schenkte eine zweite Tasse Kaffee ein. »Ellie, wie
alle anderen hier in der Gegend habe ich das Interview mit
Rob Westerfield im Fernsehen gesehen. Mein Cousin ist
Richter. Er meint, es würde so viel Druck ausgeübt, um
diesen zweiten Prozess durchzusetzen, dass er sich
wundert, warum sie sich noch nicht mit der Auswahl der
Geschworenen beschäftigen. Du machst dir keine
Vorstellung davon, was der Vater alles in Bewegung
gesetzt hat, und Dorothy Westerfield, die Großmutter, hat
natürlich sehr große Summen an Krankenhäuser,
Büchereien und Schulen in der Gegend gespendet. Sie will
diesen zweiten Prozess für Rob, und sie wird alles
daransetzen, dass er stattfindet.«
»Du wirst sicherlich als Zeugin geladen werden, Joan«,
sagte ich.
»Ich weiß. Ich war die letzte Person, die Andrea lebend
gesehen hat.« Sie zögerte, fügte dann hinzu: »Bis auf den
Mörder, natürlich.«
Einen Augenblick lang blieb es still. Dann sagte ich:
»Joan, ich möchte genau erfahren, an was du dich noch
von diesem letzten Abend erinnerst. Ich habe das
Prozessprotokoll immer wieder durchgelesen, und es fiel
mir auf, dass deine Zeugenaussage sehr kurz ausgefallen
ist.«
Sie stützte ihre Ellbogen auf den Tisch, faltete die Hände
und legte ihr Kinn darauf. »Sie war tatsächlich kurz, weil
weder der Staatsanwalt noch der Verteidiger mir die
Fragen gestellt haben, die sie mir, wenn ich das von heute
aus betrachte, hätten stellen müssen.«
»Welche Art von Fragen?«
»Über Will Nebels, zum Beispiel«, antwortete sie. »Du
erinnerst dich, dieser Handwerker, der praktisch für jeden
in der Stadt irgendwann mal etwas repariert hat. Er hat
doch bei euch geholfen, das Vordach neu zu bauen, oder?«
»Ja.«
»Er hat unsere Garagentür repariert, als meine Mutter
einmal beim Zurücksetzen dagegen gefahren ist. Mein
Vater sagte immer, wenn Will nicht gerade blau wie ein
Veilchen sei, dann sei er durchaus ein guter Zimmermann.
Aber man konnte sich nie darauf verlassen, dass er
wirklich aufkreuzte.«
»Daran erinnere ich mich dunkel.«
»Etwas, woran du dich bestimmt nicht erinnern kannst,
ist, dass Andrea und ich uns darin einig waren, dass er ein
bisschen zu freundlich war.«
»Zu freundlich?«
Joan zuckte die Achseln. »Aus heutiger Sicht würde ich
sagen, er war nur einen Schritt davon entfernt, so einer zu
sein, der andauernd Kinder betatscht. Ich meine, wir
kannten ihn ja alle, weil er in jedem Haus schon mal
gearbeitet hatte. Und jedes Mal, wenn wir ihn auf der
Straße trafen, fing er an, uns aufdringlich zu umarmen –
aber natürlich nie, wenn ein Erwachsener in der Nähe
war.«
Ich war zunächst skeptisch. »Joan, ich bin sicher, dass
ich auch in meinem damaligen Alter mitbekommen hätte,
wenn sich Andrea bei meinem Vater über ihn beschwert
hätte. Ich weiß zum Beispiel noch ganz genau, wie er
Andrea befohlen hat, sich von Westerfield fern zu halten.«
»Ellie, vor zweiundzwanzig Jahren war uns Kindern
einfach nicht bewusst, dass er unter Umständen mehr als
nur lästig hätte sein können. In dieser Zeit erzählten wir
uns gegenseitig, wie eklig es war, wenn Nebels uns
umarmte und uns ›seine
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