Denn Wahrheit musst du suchen
sich mit dem Handrücken über die Augen. »Er redet kaum noch mit mir, dafür sehe ich ihn die ganze Zeit mit dir reden, und zwar unheimlich … interessiert.« Zitternd holte sie Luft, dann sah sie Allie mit verletztem Blick an. »Sag mir die Wahrheit, Allie. Seid ihr zwei wieder zusammen? Hinter meinem Rücken … Geht er mit dir?«
Allie war sprachlos.
All die Tage hatte Carter zusammen mit ihr da draußen in Kälte und Regen geackert – und all das etwa nur, damit sie nicht allein war?
Erst konnte sie sich keinen Reim darauf machen. Dann fiel ihr Carters Gesichtsausdruck ein, als er über Jules geredet hatte und wie viel sie ihm bedeute.
So was tut nur ein Freund
, sagte sie sich.
Ein wahrer Freund.
Es überraschte sie selbst am meisten, wie ruhig ihre Antwort kam.
»Nein, Jules. Carter und ich sind nicht hinter deinem Rücken wieder zusammen. Ich weiß ganz sicher, dass ihm sehr viel an dir liegt und er dich nie betrügen würde. Du bist einer der wichtigsten Menschen auf der Welt für ihn.«
Jules suchte in ihrem Blick nach Hinweisen, dass Allie ihr etwas vormachte, doch die zuckte mit keiner Wimper.
»Aber warum macht er das dann?«, fragte Jules mit bebenden Lippen. Eine Träne, kristallklar wie Quellwasser, rann ihr über die Wange. »Manchmal begreife ich ihn einfach nicht.«
Die gebieterische, unerschütterliche Jules weinen zu sehen war außergewöhnlich. Jeden anderen Menschen hätte Allie in diesem Moment wohl in die Arme genommen. Doch wer ihr hier gegenüberstand, war … Jules.
»Carter ist mein Exfreund, ich weiß, aber er ist auch immer noch mein Freund. Unsere Trennung war zwar ziemlich nervig … Aber dann sind lauter schreckliche Dinge passiert.« Plötzlich wünschte Allie sich nichts sehnlicher, als Jules von ihrem Gespräch mit Carter zu erzählen, und die Erkenntnis, dass das völlig ausgeschlossen war, war so überwältigend, dass es sie schüttelte. Sie ballte die Fäuste, bis sie sich wieder in der Gewalt hatte. »Ich hab nicht gewusst, dass Carter gar keinen Arrest hat. Ich glaube, er macht sich einfach Sorgen um mich, weil … na weil ich so viel durchgemacht habe. Das ist wirklich nett von ihm. Ich hab mir …« Sie atmete heftig ein. »Er ist ein guter Typ, Jules. Wirklich. Vermutlich einer der besten Jungs, die ich je kennengelernt habe. Du kannst dich glücklich schätzen, dass du ihn hast.«
Jules knetete ihre Hände. »Ich … Ich wünsch mir nur, dass er aufrichtig zu mir ist. Manchmal verheimlicht er mir Sachen. Hat Geheimnisse.«
Allie suchte nach einer beruhigenden Antwort, aber dann dachte sie sich, dass Jules das sicher selbst hinbekommen würde. Für diesen Nachmittag hatte sie lange genug die heilige Allie von Cimmeria gespielt.
»Wenn ich’s wüsste, würd ich’s dir sagen«, erwiderte sie und trat einen Schritt zurück. »Du solltest wirklich … also …« Noch ein Schritt. »Mal mit ihm reden, oder so. Hör mal, Isabelle wartet auf mich …« Mit einer entschuldigenden Miene drehte sie sich um und ging ein wenig schneller als sich gehörte davon.
Kaum war sie um die Ecke, rannte sie los. Mit jedem Schritt fühlte sie sich unbeschwerter. Ungeachtet dessen, was sie soeben zu Jules gesagt hatte, hüpfte ihr Herz bei dem Gedanken, dass Carter aus Sorge um sie solche Mühen auf sich genommen hatte. Nur weil er ihr ein Freund sein wollte.
Vor Isabelles Büro machte sie eine Vollbremsung und klopfte ungeduldig gegen die geschnitzte Eichentür. »Ich bin’s, Allie.«
»Herein«, rief eine Stimme.
Allie, die in Gedanken immer noch bei Carter und Jules war, achtete nicht sonderlich auf den Klang dieser Stimme. Sie drehte den schweren Messingknauf. Die Tür öffnete sich.
In Isabelles Bürostuhl saß Lucinda Meldrum und sah Allie aus Augen an, die so grau waren wie ihre eigenen.
»Hallo, Allie«, sagte sie. »Darf ich dir eine Tasse Tee anbieten?«
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Achtundzwanzig
Während Lucinda dampfenden Tee in eine mit dem dunkelblauen Cimmeria-Wappen verzierte Porzellantasse goss, nahm Allie in dem tiefen Ledersessel gegenüber Platz und sah sie mit neugierigen Augen an. Sie wollte sich jedes Detail einprägen.
Lucindas marineblauer Blazer hob sich akkurat von ihrer frisch gebügelten, weißen Bluse ab. Die weißen Haare waren sehr kurz und stylish geschnitten, was sie jünger aussehen ließ. An ihren Ohren glitzerten Diamantohrstecker.
Es war erst ihre zweite Begegnung. Die meiste Zeit ihres Lebens war Allie in dem Glauben gewesen, ihre
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