Denn Wahrheit musst du suchen
eingeführt hat. Das hat die ganze Taktik verändert.«
Äußerlich ungerührt, nahm Allie diese Information auf und nickte artig; doch in ihrem Kopf wirbelten Isabelles Worte durcheinander wie in einer Endlosschleife.
… die ganze Zeit beobachtet. Die haben uns die ganze Zeit beobachtet. Die haben uns …
Währenddessen redete Isabelle weiter, doch Allie bekam kaum etwas mit. »Ihr habt bestimmt gesehen, dass die Wachen jetzt Mikrofone benutzen, und sie haben kleine Ohrstöpsel. Es ist das erste Mal seit über fünf Jahren, dass wir auf dem Schulgelände Hightech zulassen. Das hat unsere Vorgehensweise radikal verändert.«
Allie versuchte, sich auf die Worte der Rektorin zu konzentrieren.
»Nur sehr wenige Leute wissen davon, Allie – die Night-School-Ausbilder zum Beispiel wissen Bescheid über die Technik, nicht aber über die neuen Instruktionen für die Wachen. Nur Raj und ich und seine Leute wissen davon. Und jetzt auch du.«
»Aber … Ich … Warum?« Eigentlich wollte Allie fragen, weshalb Isabelle sie hatte bespitzeln lassen. Warum niemand sie gewarnt hatte, dass dies passieren könnte. Warum sie fremden Blicken ausgesetzt gewesen war, wo sie doch darauf
vertraut
hatte, dass Isabelle auf sie achtgab.
Doch die Rektorin verstand ihre Frage falsch. »Hightech, also Computer, Handys und so weiter, sind in der Schule verboten, seit Nathaniel sich vor fünf Jahren in unser System eingehackt und sich Zugang zu sämtlichen Dokumenten verschafft hat, zu Schülerakten, Lehrerinformationen, Night-School-Plänen, zu Namen und Adressen der Wachleute, Stundenplänen und so weiter – einfach zu allem.«
»Und wieso wurde das jetzt wieder geändert?«, fragte Allie matt. Sie war sich nicht sicher, ob es sie überhaupt interessierte. Aber die Frage lag ja auf der Hand.
»Ein ehemaliger Schüler von Cimmeria arbeitet jetzt als Programmierer – er ist jung und innovativ. Er meint, das System sei jetzt wieder vor Hacker-Angriffen sicher. Und nach dem, was mit dir und Jo passiert ist … Nun, da wussten wir, dass es so nicht weitergehen konnte. Wir mussten uns etwas Besseres einfallen lassen. Deshalb patrouillieren die Wachen nicht mehr so oft. Deshalb sieht man sie nicht mehr so viel. Sie probieren eine neue Taktik aus. Bisher hat’s funktioniert.«
»Warum hast du mir nichts davon erzählt?« Allie suchte in Isabelles Gesicht nach Hinweisen, dass die Rektorin es aus Bosheit unterlassen hatte, doch sie sah nur Müdigkeit.
»Niemand weiß davon. Und mir wär’s sehr lieb, wenn es so bliebe. Du musst mir versprechen, dass du keinem davon erzählst. Zumindest, bis wir wissen, wer der Spion ist. Und wenn ich
keinem
sage, dann meine ich: auch nicht Carter oder Rachel. Gar keinem.«
Allie war wie vom Donner gerührt. Isabelle verlangte, dass sie ihren Freunden die Wahrheit vorenthielt. Den Menschen, die ihr durch die schwersten Monate ihres Lebens geholfen hatten. Die zu ihr gehalten hatten, als sie nach Jos Tod den Super- GAU erlebt hatte. Die so viel durchmachen mussten wegen
ihrer
Familie.
»Das kann ich nicht tun«, entgegnete sie.
Isabelle schnappte nach Luft, doch Allie ließ ihr nicht die Zeit zu einer Erwiderung. »Tut mir leid, Isabelle. Aber das kann ich einfach nicht tun. Diese Zeiten sind vorbei. Ab jetzt entscheide ich allein, wem ich trauen kann.«
»Das könnte aber ein großer Fehler sein …« Ehe Isabelle fortfahren konnte, betrat der erste Schüler den Klassenraum. Neugierig sah er zu den beiden hin, während er zu seinem Pult ging.
Isabelle richtete sich auf. In ihrem Blick lag Tadel, doch als sie sprach, war ihre Stimme so ruhig und professionell, als hätten sie sich nur über Allies Noten unterhalten.
»Komm heute nach dem Unterricht zu mir ins Büro, damit wir das weiterbesprechen können.«
»Ich kann nicht«, sagte Allie, ohne nachzudenken. »Ich hab eine Verabredung, mit …«
Ihre Stimme erstarb. Sie wollte sich doch mit den anderen treffen, um über ihre Pläne zu sprechen. Das konnte sie Isabelle ja kaum erzählen … Oder doch?
Isabelles Erwiderung kam schroff. »›Ich kann nicht‹ ist wirklich das Letzte, was ich von dir hören möchte, Allie. Also, ich erwarte dich.«
Während die Rektorin mit steifen Schultern davonmarschierte, seufzte Allie resigniert. Die anderen würden sich ohne sie treffen müssen.
Doch statt sich nach Unterrichtsende direkt in Isabelles Büro zu begeben, fing Allie auf dem Flur vor der Klasse Rachel ab.
»Ich brauch deine Hilfe«,
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