Denn Wahrheit musst du suchen
sagte sie. »Ich sitz in der Klemme. Du musst mir helfen.«
»Mal wieder Differenzialrechnung, oder was?« Rachel hatte Mitgefühl.
»Schlimmer«, erwiderte Allie und senkte die Stimme. »Es geht um Isabelle. Und andere Sachen.«
»Jungssachen?«, fragte Rachel hoffnungsfroh.
Als Allie nickte, begannen Rachels warme, braune Augen zu strahlen. »Na, endlich mal eine Klemme, über die zu reden sich lohnt!« Sie schob Allie über den von Schülerscharen bevölkerten Flur. »Hier entlang, bitte. Frau Doktor hat Sprechstunde.«
Im Gehen erstattete Allie kurz Bericht. In groben Zügen erzählte sie Rachel von ihrer Begegnung mit Isabelle, ohne die Sache mit dem neuen Security-System und der damit zusammenhängenden Überwachung zu erwähnen. Das konnte warten.
»Sonst hat sie nichts Nützliches erzählt?«, fragte Rachel. »Wo Eloise ist, zum Beispiel? Und wen sie sonst noch in Verdacht haben?«
Allie schüttelte den Kopf. »Nein … Dafür war keine Zeit mehr. Außerdem war sie eh mehr mit Rumschreien und Drohen beschäftigt.«
»Das ist immer nett«, meinte Rachel. Geschickt wich sie einem jüngeren Schüler aus, der sie beinahe umgerannt hätte. »Das mag doch jeder, so ein bisschen Angeschrien-Werden.«
Allie sah dem Jungen nach, der lachend zu seinen Freunden aufschloss, und beneidete ihn um die Freiheit, einfach ein Kind zu sein. Sie selbst konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal so ausgelassen und fröhlich gewesen war.
»Aber total«, erwiderte sie erschöpft.
Der Tag hatte früh für sie begonnen, und vor ihr lag immer noch der Gang zu Isabelle. Allie presste die Fingerspitzen gegen ihre Stirn.
»Bist du ganz sicher, dass sie nicht noch mehr schlimme Dinge gesagt hat?« Rachel sah sie besorgt an. »Du siehst aus, als hätte dir jemand richtig eine verpasst. Hat Isabelle dir eine verpasst?«
»Geschlagen hat sie mich nicht«, erwiderte Allie. »Also, jedenfalls nicht körperlich. Hör mal, ich muss jetzt wirklich …«
»Oh nein, auf gar keinen Fall! Wir haben noch nicht über die Jungs geredet.«
Ohne auf ihre Proteste einzugehen, schob Rachel Allie weiter, hinaus aus dem Klassenzimmertrakt ins Hauptgebäude, wo klassische Marmorstatuen in immerwährend anmutigen Posen verharrten. Sie schlüpften hinter die Statue eines jungen Mannes mit einer lächerlichen Rüschenjacke, die über sein Hinterteil hinausragte, und setzten sich auf eine Steinbank.
Hier, in diesem stillen Winkel, waren sie ungestört.
Mit einem zufriedenen Seufzer lehnte Rachel sich gegen die Wand. »Das ist mein geheimer Rückzugsort. Also, schieß los.«
Anfangs stockend, dann immer sicherer erzählte Allie ihr von dem Gespräch mit Carter und ihrer Entscheidung, dass sie für ihn lediglich Freundesliebe empfand, sowie von dem anschließenden Eklat mit Sylvain.
»Ich hab’s verbockt … Ich hab’s schon wieder verbockt!« Sie beugte sich vor und drückte die Stirn gegen die kalte Ferse der Marmorstatue. »Oh, Rachel. Wieso geht’s mir so? Warum muss das alles so verdammt
verwirrend
sein?«
»Allie«, sagte Rachel sanft, »Carter war deine erste Liebe. Die erste ist immer die schlimmste.«
»Aber warum hat er mich bloß geküsst?«, erwiderte Allie niedergeschlagen. »Das hat alles nur noch viel schlimmer gemacht.«
»Sieht ganz so aus, als wärst du nicht die Einzige, der’s schwerfällt, drüber hinwegzukommen.«
Womit sie nicht ganz unrecht hatte.
»Und Sylvain, was machst du jetzt mit dem?«, fragte Rachel. »Was sagt denn dein Herz?«
Allie sank in sich zusammen. »Dass ich herausfinden muss, wer Jos Mördern geholfen hat, das sagt mir mein Herz. Und dass ich mich so lange von Jungs fernhalte.«
Rachel schaute nachdenklich drein. »Du kannst Jos Tod nicht als Vorwand dafür benutzen, keine Entscheidungen für dein eigenes Leben zu treffen – das weißt du, oder?«
Allie blinzelte sie an. »Also, bin ich vielleicht doch verliebt in …?«
»Bist du es denn?«, fragte Rachel zurück.
»Allie Sheridan!«
Vom Treppenabsatz her rief eine Mädchenstimme nach ihr. In ihrem Versteck waren sie für alle unsichtbar.
»Wer ist das?«, zischte Allie.
»Weiß nicht, ich schau mal nach.« Rachel richtete sich auf, um über die wehenden Rockschöße der Statue hinwegzuspähen. Sie stellte sich auf Zehenspitzen und reckte den Hals, um dann plötzlich vor Schreck die Augen aufzureißen. »Alarm! Schnell runter! Jules im Anmarsch!«
»Oh Mist.« Allie duckte sich. »Was will die denn von mir?«
»Na
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