Denn Wahrheit musst du suchen
Doch noch mehr wollte sie erfahren, was Isabelle zu sagen hatte.
Widerstrebend ließ sie sich auf einem der Stühle nieder.
Isabelle stützte sich mit den Händen auf den Tisch, an dem Allie saß, und blickte ihr in die Augen. »Was ihr getan habt, also in Mr Zelaznys Privaträume einzudringen, ist ein
absoluter
Verstoß gegen die Internatsordnung. Ihr hattet nicht das Recht, das auf eigene Faust zu beschließen. Ich mag mir nicht ausmalen, wie er reagiert hätte, wenn er das mitbekommen hätte. Und wenn Lucinda davon erfahren hätte, wärt ihr wahrscheinlich nicht mehr an dieser Schule.«
Allie atmete erleichtert aus – Zelazny wusste von nichts. Sie hatten es ihm nicht erzählt.
Der Rest von Isabelles Standpauke, also das mit dem Verstoß gegen die Regeln, bla, bla, zählte eigentlich nicht. Das war ihnen sowieso klar gewesen, als sie Zelaznys Zimmer betreten hatten.
»Was hatte er mit dem Schlüssel vor?«, fragte Allie und suchte in Isabelles feinem Gesicht nach Hinweisen. »Habt ihr ihn befragt? Ist er es?«
Für einen kurzen Augenblick schloss die Rektorin die Augen, als müsste sie ihre Kräfte sammeln. »Ihr solltet das wirklich uns überlassen, Allie – das gehört zu unserem Job.«
Der Frust in ihrer Stimme war nicht zu überhören, doch Allie war nicht bereit, zurückzustecken.
»Ihr wusstet doch nicht mal, dass er den Schlüssel hatte …«
»Natürlich wussten wir das!«, fuhr Isabelle auf. »Und der Schlüssel liegt mittlerweile auch wieder in dem Buch. Wo ihr ihn um Himmels willen bitte liegen lasst!«
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Siebenundzwanzig
Allie war sprachlos. Da kam sie nicht mit.
»Ihr … Ihr …
Was
?«, stammelte sie schockiert. »Ich … ver…«
»Du verstehst nicht? Das glaube ich gern.« Betont gelassen bändigte Isabelle die dunkelblonden Haare, die aus dem Haarclip gerutscht waren; als hätte ihr Zorn sich urplötzlich in ihre Haarwurzeln zurückgezogen, sprach sie völlig gefasst weiter. »Hör zu, Allie. Raj und ich ermitteln gegen alle Personen, die in Betracht kommen, Nathaniels Spion zu sein. Gegen alle, hörst du? Und zwar seit Monaten. Wir wissen über alles in allen Zimmern Bescheid, bis zum letzten Staubkorn. Bis zu den Fingerabdrücken auf den Büchern. Oder den Ohrstöpseln in ihren Nachttischen.«
Allie hob die Hand – sie brauchte Zeit, um diese Neuigkeiten zu verarbeiten.
»Aber wieso habt ihr den Schlüssel einfach wieder dorthin zurückgelegt?«, fragte sie dann. »Wieso habt ihr Zelazny nicht dazu befragt?«
»Sollte er tatsächlich Nathaniels Spion sein, erfahren wir mehr, wenn wir ihm nicht verraten, dass wir ihn beobachten«, erwiderte die Rektorin. »Zum Beispiel könnte er uns aus Unachtsamkeit zu Nathaniel führen oder andere verraten. Würden wir mit offenen Karten spielen, würden wir nichts mehr von ihm erfahren.«
Das war auf unheilvolle Weise einleuchtend. Aber es waren ja noch mehr Leute in diese Sache verwickelt. Noch mehr Fragen unbeantwortet.
»Wenn ihr ihn in Verdacht habt, warum haltet ihr dann Eloise fest?«, fragte Allie. »Ist sie … so was wie … ein Lockvogel?«
»Ja und nein. Anfangs haben wir sie für den Spion gehalten. Mittlerweile denken wir das nicht mehr. Wir halten sie weiter fest, damit der echte Spion sich in Sicherheit wiegt. Aus dem gleichen Grund haben wir die Patrouillen auf dem Gelände ausgedünnt und die Night School vorläufig ausgesetzt.«
Isabelle seufzte und setzte sich auf den Tisch neben ihr.
»Hör zu, Allie. Zurzeit überwachen mehr Leute die Schule als je zuvor. In der Nacht, als ihr zur Hütte geschlichen seid, hat man euch die ganze Zeit beobachtet.«
Alle Geräusche verebbten. Das Geschnatter der Schüler draußen auf dem Flur drang wie von einem anderen Kontinent zu ihr. Nicht mal ihren eigenen Herzschlag hörte Allie noch.
Wie bitte!? Die haben uns die ganze Zeit beobachtet? Auch Carter und mich?
Hatte jemand gesehen, wie sie sich geküsst hatten? Mucksmäuschenstill dabeigestanden, während sie sich ihre innersten Gefühle offenbart hatten?
Bei dem bloßen Gedanken, ihre Privatsphäre könnte derart verletzt worden sein, drehte sich ihr der Magen um.
Als sie aufsah, merkte sie, dass Isabelle auf eine Erwiderung von ihr wartete. Allie versuchte, ruhig zu wirken, und räusperte sich, doch sie bekam nur ein Wort heraus.
»Wie …?«
»Die Wachen gehen jetzt nicht mehr Streife«, sagte Isabelle nur. »Sie beobachten aus dem Verborgenen und kommunizieren über ein neues System, das Raj
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