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Denn wer zuletzt stirbt

Denn wer zuletzt stirbt

Titel: Denn wer zuletzt stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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mit einem Bollerwagen ihren Umzug alleine bewerkstelligt, von Hand.
    Meine Lieblingsgeschichte handelte von ihrem Termin bei der Gestapo. Angezeigt vom Volksgenossen Blockwart wegen des »Abhörens von Feindsendern« muß sie diese Gestapo-Typen in den Wahnsinn getrieben haben. Sie erschien gutlaunig zwei Stunden nach dem befohlenen Termin in der Prinz-Albrecht-Straße, weil sie auf dem Weg beim Kaufhaus Wertheim vorbeigekommen sei, das hätte nicht nur gerade geöffnet gehabt, eine Seltenheit bei den Tagangriffen der Engländer, sondern auch Kochtöpfe im freien Verkauf angeboten. Und da habe sie gedacht, die Gestapo laufe ihr nicht weg, die Kochtöpfe hingegen schon. Und was Radiosender angehe, richte sie sich nur nach dem Musikprogramm und habe keine Ahnung, welcher Sender gerade ihre Lieblingsmusik spiele. Musik könne doch wohl keine feindliche Propaganda sein.
    Aber nun funktionierten auch die alten Geschichten nicht mehr.
    »Gustav, gib mir endlich etwas. Eine hohe Dosis Insulin zum Beispiel. Schließlich bist du Arzt.«
    Sie fühle sich wie ein angefaultes Stück Knochen, vom Tod als ungenießbar verschmäht, also müsse ich ihr helfen. Wenn nicht als Arzt, dann als ihr Neffe. Ihren dreiundachtzigsten Geburtstag wolle sie auf keinen Fall mehr erleben.
    Ich setzte mich auf ihre Bettkante, Trixi rückte unwillig ein Stück zur Seite.
    »Tante Hilde, du weißt, daß ich das nicht machen kann. Das ist strafbar.«
    »Strafbar ist es, wenn es herauskommt. Du kannst doch selbst den Totenschein schreiben.«
    Ich versuchte es mit Humor, passend oder nicht.
    »Ich bin dein Alleinerbe, hoffe ich wenigstens. Und verwandt sind wir auch. Sähe ein von mir unterschriebener Totenschein nicht verdächtig aus? Wahrscheinlich darf ich den Totenschein bei einem Angehörigen sowieso gar nicht selbst ausstellen.«
    Ich wußte es wirklich nicht, sollte mich aber erkundigen. Die Chancen standen nicht schlecht, daß sich das Problem eines Tages stellen würde.
    Hilde ließ nicht locker. Bei meinem nächsten Abendbesuch argumentierte sie weiter.
    »Du könntest mit mir nach Holland fahren.«
    »Auch in Holland könnte man dir nicht helfen.«
    »Doch. Holland ist fortschrittlich. In Holland ist Sterbehilfe erlaubt.«
    »Stimmt. Aber du hast keine unheilbare Krankheit.«
    Mit ihren ausgemergelten Fingern griff sie nach meiner Hand.
    »Doch, habe ich. Das Alter.«
    Ich schaute auf die knochigen Finger, die in meiner Hand lagen. Ein alter Mensch, für den der Tod einfach noch keine Zeit gefunden hatte. Bestimmt war er wieder bis über beide Ohren mit einem Völkermord beschäftigt, mit irgendeinem Massaker oder wenigstens mit Kollateralschäden. Und auch wir Mediziner mit unseren tollen Fortschritten spielen in diesem unsinnigen Drama eine Rolle.
    Bevor ich Tante Hilde verließ, versicherte ich mich trotzdem, daß ihre Medikamente griffbereit am Bett standen, denn mittlerweile waren ihre Beine so steif und atrophiert, daß die Schwestern vom Pflegedienst sie nicht einmal mehr zum Waschen aus dem Bett nahmen. Jetzt würde sie wieder fast bis zum Mittag des kommenden Tages alleine sein – sie hatte mit dem Pflegedienst ausgemacht, daß sie frühestens am späten Vormittag zu wecken sei.
    Das Dauerthema Sterbehilfe und die Tatsache, daß sie offensichtlich immer mehr den Kontakt zur Realität verlor, ließ den Abstand meiner Besuche bei Tante Hilde größer werden. Lange schon hatte ich mich daran gewöhnt, von ihr »Gustav« genannt zu werden. Aber nun hatte sie ihre fixe Idee, bestohlen zu werden, ausgebaut und auf den Hauspflegedienst erweitert.
    Nicht nur, daß die Mitarbeiter vom Pflegedienst sie ausraubten, wollten sie angeblich auch an ihre Rente und an ihr Bankkonto. Auch die Post wolle man ihr vorenthalten. Nett wäre nur Schwester Käthe – offensichtlich war ihr zeitweise nicht klar, daß sie nicht mehr bei uns im Krankenhaus lag.
    Kurz und gut, ich wünschte ihr den Tod. Bald und schnell. Aber als Celines Anruf mich kurz vor meiner Abfahrt in die Klinik erreichte, war ich trotzdem geschockt. Celine keuchte vor Aufregung.
    »Felix. Dieser Makler hat mich gerade angerufen. Ich könne mir in den nächsten Tagen eine Spitzenwohnung ansehen. In der Taubertstraße 12!«
    Ich sprang in meinen Golf und raste in die Taubertstraße 12. Zu Tante Hilde.

    Tante Hilde war noch am Leben, als ich ihr Bett erreichte. Sie wirkte tief komatös, aber als ich sie ansprach, öffnete sie noch einmal die Augen. Dann stöhnte sie kurz auf und war tot.

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