Denn wer zuletzt stirbt
Gespräch zwischen Valenta und mir am selben Tag in der Kantine. Da Schwester Käthe endlich aus ihrem Urlaub zurückgekehrt war, lief die Station wieder problemlos, und ich konnte mir zu Mittag erneut den Luxus der Personalcafeteria leisten.
Bei diesem Mittagessen nun hatte mich Valenta so ausdauernd wegen meiner Theorie zur Verbindung zwischen Krankenhaus und Makler Manfred aufgezogen, daß ich ihm andeutungsweise von der Silvesternacht bei Winter erzählte. Keine Details, nur daß es Hinweise gebe, daß der Fast Tod von Winter gewollt herbeigeführt worden und daß Schwester Renate als letzte in seinem Zimmer gewesen sei, dies aber abstritte.
Über sein halb leergegessenes Tablett starrte mich Valenta ungläubig an.
»Wer sagt das?«
»Wer sagt was?«
»Daß Renate kurz vor eurer Wiederbelebung bei Winter im Zimmer war.«
Vielleicht verhielt ich mich übervorsichtig, trotzdem schien es mir im Moment ratsam, meinen Kronzeugen nicht preiszugeben.
»Renate ist gesehen worden, wie sie gegen Viertel vor zwölf aus Winters Zimmer gekommen ist.«
Valenta richtete die Gabel, mit der er gerade eine halbe Kartoffel aufgespießt hatte, gegen mich.
»Das glaube ich nicht, mein lieber Holmes, das kann gar nicht sein. Total unmöglich. Such dir einen neuen Täter. Besser noch, hör endlich auf, immer wieder Unruhe in die Klinik zu bringen.«
Wütend stand Valenta auf und knallte sein Tablett auf das Förderband zum Abwasch. Wieder einmal war der Überbringer schuld an den schlechten Nachrichten! Warum war Valenta so erbost? Deckte er Renate? Lief da etwas zwischen den beiden, eine Mesalliance zwischen unserer anerkannt hübschesten Schwester und einem verheirateten Arzt von hundertfünfzehn Kilo? Oder schlimmer noch, war auch Dr. Valenta mit seiner Intensivstation in den Immobilienhandel verstrickt und hatte deshalb selbstverständlich keine Auffälligkeiten in den von mir angeforderten Krankenakten gefunden?
Noch während ich, zurück in meinem Arztzimmer, versuchte, mir einen Reim auf Valentas Verhalten zu machen, platzte Schwester Renate, sichtlich aufgebracht, herein.
»Ich höre, du bist der Meinung, ich hätte versucht, deinen Patienten Winter umzubringen? Wie, lieber Felix, soll ich das denn gemacht haben?«
»Wenn du es warst, könntest du zum Beispiel seine Infusionspumpe manipuliert haben.«
»Ich habe was?«
»Zum Beispiel seine Infusionspumpe manipuliert.«
Ganz Mr. Holmes hielt ich mich bewußt vage. Aber Renate faselte nichts über eine ihr unbekannte Sicherung oder wie man nachts deren Farben verwechseln könne. Sie stemmte nur ihre Hände in die Hüften.
»Wenn du das meinst, mein Lieber, mußt du es mir auch beweisen.«
Dann stürmte sie aus meinem Arztzimmer. Ich blieb sitzen. Und mußte abwarten, was Celine bei Makler Manfred erreichen würde.
Der Gutachter hatte tatsächlich Pflegestufe 3 bewilligt, der fahrbare Mittagstisch brachte das Essen pünktlich und sogar noch lauwarm, und Tante Hilde hielt sich nicht mehr in der Gefahrenzone auf, die meine Station offensichtlich für ältere Menschen mit attraktiver Wohnung bedeutete. Doch Hüftoperation, Krankenhaus und Rollstuhl hatten ihr endgültig den Lebenswillen genommen.
Ich sah etwa zweimal die Woche bei ihr nach dem Rechten. Ich wußte, zu welchen Zeiten die Schwestern von der Hauspflege kamen, und richtete es so ein, nicht mit ihnen zusammenzutreffen. Natürlich hatte ich meine Tante in der Klinik öfter als genug auf dem Nachttopf gesehen oder wie sie im Bett gewaschen wurde, aber zu Hause war das noch einmal etwas anderes. Dort wenigstens wollte ich ihr den eigenen Neffen als Zeugen ihrer Hilflosigkeit und Entwürdigung ersparen.
Im Prinzip hätte sie ganz gut zurechtkommen können. Die Türschwellen waren entfernt, die Türblätter hatte ich ausgehängt, unnötiges Mobiliar in den Keller geschleppt. Aber der Rollstuhl stand unbenutzt in der Ecke, und Laufübungen fanden sowieso nicht statt.
Früher hatte ich Tante Hilde immer mit der Bitte aufmuntern können, mir von den alten Zeiten zu erzählen. Im damals eleganten Berliner Vorort Friedrichhagen am Müggelsee aufgewachsen, war ihre eigene Tante noch mit Kutscher und Kutsche zum Besuch vorgefahren, und Hilde selbst konnte sich als junges Mädchen den Tee von einem Diener servieren lassen, der zwar hauptamtlich im Garten arbeitete, sich aber zum Servieren des Tees schnell weiße Handschuhe überzog. Und immerhin hatte Hilde zwei Weltkriege überstanden. 1944 ausgebombt, hatte sie
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