Department 19 - Die Wiederkehr: Thriller (German Edition)
einfach müde.
»Ist Ihnen überhaupt klar, gegen wie viele Vorschriften Sie nach eigener Aussage verstoßen haben?«, fragte Seward.
»Bestimmt nicht wenige, Sir.«
»Da haben Sie recht«, sagte Seward. »Nicht wenige. Sogar ziemlich viele.«
Der Direktor lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und betrachtete Jamie sichtlich enttäuscht.
»Was soll ich in dieser Sache unternehmen?«, fragte er. »Was täten Sie an meiner Stelle?«
»Das weiß ich nicht, Sir«, antwortete Jamie, dessen Magennerven sich verkrampften, als ihm verspätet klar wurde, dass seine Karriere bei Schwarzlicht an einem seidenen Faden hing. »Ich denke, ich würde tun, was ich für das Beste halte, Sir.«
Seward sah zu ihm auf. Er lächelte schwach, bevor er sich nach vorn beugte und erneut in die Gegensprechanlage sprach.
»Marlow?«
»Ja, Sir?«
»Bringen Sie Mr. Browning sofort zu mir. Bitten Sie Major Turner, Sie zu begleiten. Sorgen Sie dafür, dass möglichst niemand unseren Gast sieht.«
»Ja, Sir«, bestätigte Marlow. »Wir sind unterwegs, Sir.«
Der Direktor stand vom Schreibtisch auf und ging zu den Sesseln vor dem riesigen offenen Kamin hinüber, der sein Arbeitszimmer dominierte. Er ließ sich schwer in einen fallen und bedeutete Jamie, in einem anderen Platz zu nehmen. Dann nahm Seward sich eine Zigarre aus dem Humidor auf dem niedrigen Tischchen und zündete sie mit einem langen Streichholz an. Als die Zigarre richtig brannte, lehnte er sich in seinen Sessel zurück und musterte Jamie.
»Wie soll das enden, Jamie?«, fragte er in eine bläuliche Qualmwolke gehüllt. »Was kann dem armen Jungen seine Rückkehr Gutes bringen?«
»Lassen Sie ihn uns helfen, Sir«, schlug Jamie sofort vor. »Er ist hochintelligent, Sir, und zweifellos tapfer. Ich kann mich um ihn kümmern, ihn in mein Team integrieren und ihm zeigen, wie …«
»Kommt nicht in Frage«, wehrte Seward ab. »Ich habe die Einstellungsvorschriften schon in Ihrem Fall strapaziert, Jamie. Das tue ich nicht noch mal, bloß damit Sie einen gleichaltrigen Freund bekommen. Bleibt er, verlässt er den Stützpunkt nicht vor Abschluss einer regulären Ausbildung. Ist das klar?«
»Ja, Sir«, bestätigte Jamie. Er war enttäuscht, weil Seward nicht zulassen wollte, dass Matt in sein Team kam, aber auch begeistert darüber, dass der Direktor tatsächlich eine Zukunft für Matt bei Schwarzlicht zu sehen schien.
»Sie können es nicht rückgängig machen, Jamie«, sagte Admiral Seward plötzlich. »Was Sie zu tun versuchen. Es bringt ihn nicht zurück.«
»Wie bitte, Sir?«, fragte Jamie sichtlich verwirrt.
»Frankenstein«, sagte der Direktor. »Matt wird Frankenstein nicht ersetzen können. Er kann den Verlust nicht einmal abmildern.«
Jamie hatte das Gefühl, sein Sessel breche unter ihm zusammen.
Tue ich das wirklich?, fragte er sich . Versuche ich, den armen Jungen dazu zu benutzen, das Vergangene ungeschehen zu machen?
»Ich glaube nicht, dass ich’s darauf anlege, Sir«, sagte Jamie mit unsicherer Stimme. »Und falls doch, habe ich nicht bewusst gehandelt.«
»Das glaube ich Ihnen aufs Wort«, antwortete Seward, indem er den Teenager fast väterlich lächelnd betrachtete. »Sie haben viele Eigenschaften, Jamie, aber Grausamkeit gehört nicht dazu. Ich bin sicher, dass Sie nur getan haben, was Sie für das Beste hielten.«
Schweigen sank auf die beiden Männer herab, die in Alter und Erfahrung so unterschiedlich und in Temperament und Liebe zu der ihnen anvertrauten Aufgabe so ähnlich waren. Jamie beobachtete lange, wie der von Sewards Zigarre aufsteigende Rauch sich kräuselnd auflöste, bevor er wieder das Wort ergriff.
»Wie war er, Sir?«, wollte er wissen.
»Wen meinen Sie?«, fragte Seward, obwohl er wusste, wer gemeint war.
»Victor Frankenstein, Sir«, antwortete Jamie. »In jungen Jahren, meine ich. Bevor ich ihn gekannt habe. Wie war er früher?«
Seward überlegte kurz, wie viel er dem Teenager genau erzählen sollte; seine eigenen Erinnerungen an Frankenstein waren komplex, ebenso voller Angst und Schmerzen, wie sie voller Triumph und Freundschaft waren.
»Er war ein Mann«, antwortete er langsam. »Er hatte Fehler wie jeder andere, vielleicht sogar mehr als die meisten. Aber darüber hinaus war er mein Freund.«
25
Die Lichterstadt, Teil I
Paris, 23. August 1923
Frankenstein lehnte sich in seinen Stuhl zurück, dessen enges Korbgeflecht unter seinem Gewicht hörbar knarrte, nahm einen großen Schluck aus seinem Weinglas und
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