Department 19 - Die Wiederkehr: Thriller (German Edition)
und der Vampir auf der Bühne ließ die Tote, mit der er eben noch getanzt hatte, achtlos fallen. Die meisten der Anwesenden wirkten überrascht; es kam selten vor, dass Lord Dante sich ihnen zeigte, und noch seltener, dass er sie ansprach.
In den Jahrzehnten, seit Frankenstein dem Vampirkönig sein Kukri -Messer in die Brust gestoßen hatte, war Lord Dante in seinem eigenen Club eine Randfigur geworden, zu dem nur noch die wenigen Vampire Zugang hatten, die er weiterhin als Günstlinge betrachtete. Latour, der einer von ihnen war, hatte oft besorgte Fragen anderer Mitglieder nach Lord Dantes Gesundheitszustand beantworten und verzweifelte Bitten von Vampiren abwehren müssen, die das Speisezimmer betreten und ihm ihre Verehrung bezeugen wollten.
Der Vampirkönig hatte sich in den kleinen Raum zurückgezogen, in dem er Männer und Frauen genoss, die sein Diener ihm brachte, und war im Lauf der Zeit zu einer Art Sagengestalt geworden: einem Ungeheuer, das im Dunkel hauste, das niemand betreten durfte; einer finsteren Gestalt hinter den Kulissen, die den Mitgliedern der Fraternité längst unheimlich geworden war.
Der Besuch war über die Jahre hinweg stetig zurückgegangen, was darauf hinwies, dass in dem alten Gebäude nicht mehr alles in Ordnung war. Obwohl es die sicherste Zuflucht für Vampire in ganz Paris blieb, ein Ort, an dem selbst die obszönsten Gelüste sich befriedigen ließen, entschieden sich immer weniger Vampire dafür, seine lasterhaften Freiheiten in Anspruch zu nehmen. Die Gegenwart Lord Dantes, der nun so wenig mit seiner früheren gottähnlichen Erscheinung gemein hatte, bereitete ihnen fast körperliches Unbehagen. Daher waren weniger als fünfzehn Vampire anwesend, um Lord Dantes Stimme durch den Raum hallen zu hören und ihn durchs Theater schreiten zu sehen, als Latour Frankenstein zur Bühne trug.
»Mein Gott«, flüsterte jemand, als die kleine Prozession vorbeizog.
Auf Lord Dantes Gesicht stand reine, unverfälschte Freude; er sah aus, als sei er zu neuem Leben erweckt worden. Sein Smokingjackett wehte hinter ihm her, als er die Bühne erreichte und mühelos hinaufschwebte. Latour folgte ihm mit respektvollem Abstand, schleppte seinen Gefangenen mit und schwebte zu dem Vampirkönig hinauf, der sich jetzt an die wenigen Zuhörer wandte.
»Meine Freunde«, verkündete er mit hallender Stimme. »Ihr steht davor, Zeugen eines wahrhaft glücklichen Ereignisses zu werden – eines Ereignisses, das sich mit jedem anderen in der Geschichte unserer Fraternité wird messen können.«
Er machte eine Pause, strahlte seine verwirrten Zuhörer an. Im Saal wurde geflüstert, und einige Finger zeigten auf Frankenstein, aber die meisten Vampire starrten Lord Dante an, weil sie kaum glauben konnten, dass er das Speisezimmer, seine selbst gewählte Zelle, verlassen hatte und vor ihnen mit solchem Feuer sprach, wie es selbst die ältesten Mitglieder seit vielen Jahrzehnten nicht mehr erlebt hatten.
»Vor neunzig Jahren«, fuhr der Vampirkönig fort, »ist mir ein großes Unrecht angetan worden. Ein so feiger, so ungerechter Akt des Verrats, dass ich mir damals überlegen musste, ob es klug wäre, diese Zuflucht für Geschöpfe der Nacht weiter zu unterhalten. Ich habe mich von euch zurückgezogen, meine Brüder und Schwestern; das lässt sich nicht leugnen, und ich entschuldige mich dafür. Der Täter, den ich euch endlich präsentieren kann, war ein feiges, gemeines Subjekt, ein abscheuliches Wesen, das niemals hätte ins Leben treten dürfen – ein Fehler, den ich nach langen Jahren endlich korrigieren kann und will.«
Mitten auf der Bühne stand ein massiver Holzpfosten, der in den langen Jahren, seit Lord Dante ihn bei der Gründung der Fraternité hatte errichten lassen, zu allen denkbaren Schrecken gedient hatte. Jetzt erhielt Latour von dem Vampirkönig den Befehl, Frankenstein an diesem Pfosten festzubinden.
Während Latour sich an die Arbeit machte, das schlaffe Monster an den Pfahl lehnte und auf der Bühne herumliegende dicke Stricke aufsammelte, sprach Lord Dante weiter.
»Manche von euch sind lange genug Mitglied dieser Fraternité, um das Wesen neben mir zu erkennen«, sagte er mit Augen wie glühende Kohlen. »Dies ist die Bestie, die mir das angetan hat, an der ich seit fast einem Jahrhundert Rache üben will.« Während er sprach, knöpfte er sein Hemd auf, zog es auseinander und ließ die aus seiner Brust ragende schmale Klinge sehen. »Und jetzt, meine Freunde, ist’s endlich
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