Department 19 - Die Wiederkehr: Thriller (German Edition)
schmerzlich, wieder hier zu sein – schmerzlicher, als er gedacht hatte –, aber es war notwendig, denn dies war sein einziger Besitz, von dem niemand etwas ahnte, sein einziger Besitz, der bestimmt nicht von Schwarzlicht oder einer seiner verfluchten Schwesterorganisationen überwacht wurde. Dies war der Ort, an dem er seinen Meister ungestört gesund pflegen konnte.
Als das Blut des Mädchens in seinen Mund strömte, spürte Dracula augenblicklich, wie ihn neue Kraft durchflutete. Er wusste, dass sie nicht anhalten würde, aber er wusste auch, dass jeder verstrichene Tag, jeder Mundvoll warmes Blut ihn näher zu sich selbst und zu seiner Rache brachte.
Er nutzte den vorübergehenden Kraftüberschuss, um mit Valeri zu sprechen. Seine Stimme hallte durch den Raum: volltönend und tief und im Augenblick voll von der Autorität, die einst Heere befehligt und Tausende in den Tod geschickt hatte.
»Wo ist dein Bruder?«, fragte er. »Wieso ist Valentin nicht hier, um dir beizustehen? Du solltest diese Bürde nicht allein tragen müssen, alter Freund.«
»Valentin ist in Amerika, Meister«, antwortete Valeri und verzog angewidert das Gesicht, als er den Namen seines Bruders aussprach. »Wir kümmern uns nicht umeinander.«
Dracula verzog knurrend das Gesicht, und Valeri hatte einen Augenblick lang Angst. Die Wiederbelebung seines Meisters war das Ergebnis beharrlichen Strebens, das ihn über hundert Jahre beschäftigt hatte: der Schlusspunkt einer Suche, der er unbeirrbar treu geblieben war, auch als Alexandru in Wahnsinn versunken war und Valentin der Familie den Rücken gekehrt hatte, um sich in New York seinem Leben in schändlichem Luxus hinzugeben. Nachdem die Suche nun beendet und sein Meister ins Leben zurückgekehrt war, würde Valeris Position als Draculas treuester Anhänger auf ewig gesichert sein; er würde seinem Meister aufs Neue gehorsam, bereitwillig und stolz dienen. Aber in dem vergangenen Jahrhundert, während Dracula tief unter dem russischen Schnee geschlummert hatte, hatte Valeri vergessen, wie es war, Angst zu haben. Nun kam die Erinnerung zurück, und er zitterte in der kühlen Luft seines Arbeitszimmers.
»Geh zu ihm«, sagte Dracula, dessen Knurren so rasch verschwand, wie es gekommen war. »Sag ihm, dass sein Meister ihm befiehlt, heimzukommen. Sag ihm, dass es Arbeit zu leisten gibt.«
»Gewiss, Meister, antwortete Valeri. »Ich breche sofort auf.«
Dracula grunzte befriedigt.
»Gut«, sagte er und fixierte seinen Untertan. »Du hast mir stets ausgezeichnet gedient, Valeri. Du hast nie versucht, meine Entscheidungen in Frage zu stellen. Wenn diese Welt mein ist, wenn ich die Leichen der erbärmlichen Kreaturen, die sie bewohnen, aufgetürmt und in Brand gesetzt habe, wenn meine Feinde wieder von hohen Pfählen ins Leere starren, soll der Platz zu meiner Rechten wie zuvor dein sein.«
»Ihr ehrt mich, Meister.«
»Verlass mich«, sagte Dracula mit einer matten Handbewegung. Valeri tat wie geheißen, verließ rückwärtsgehend rasch den Raum und ließ den Grafen allein.
Dracula sah ihm nach, dann ließ er sich auf die Chaiselongue zurücksinken und starrte die reich bemalte Zimmerdecke über sich an. Er spürte bereits, wie seine Kraft verebbte, aber er weigerte sich, darüber Ärger zu empfinden. Drei Monate waren vergangen, seit er in dem pulsierenden dunkelroten Brei in der Grube unter der Kapelle der Rusmanovs erwacht war: nackt und schreiend, sein Körper kaum mehr als eine teigige Masse, die nur von der Stärke seines eigenen Willens zusammengehalten wurde. Er hatte nicht gewusst, wer er war, als er gewaltsam wiedergeboren wurde, hatte sich selbst nicht gekannt, bis Valeri am Rand der Grube niedergekniet war und ein einziges Wort gesagt hatte.
Meister. Als er mich Meister genannt hat, wusste ich, wer ich bin.
Seine Reise von diesem in Blut getränkten Anfang war lang und beschwerlich gewesen, aber sie wurde mit jedem Tag leichter. Er wusste, dass er geduldig sein konnte, zumindest für kurze Zeit. Und er wusste, dass er alle Schmerzen ertragen konnte, die ihn vielleicht noch erwarteten. So schmerzhaft seine Genesung bisher gewesen war, war sie doch nichts im Vergleich zu der Nacht, in der vor über fünfhundert Jahren sein zweites Leben begonnen hatte.
5
Wiedergeburt
Teleorman-Forst nahe Bukarest, Walachei
12. Dezember 1476
Vlad Tepes flüchtete bei herabsinkender Dunkelheit durch den Wald, hörte den Schlachtenlärm und die Schreie seiner Männer hinter sich
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