Depesche aus dem Jenseits
undefinierbaren Unbehagen. Die Hellseherin meinte es ernst, sie war auch so besorgt, als sie ihm sagte: »Nimm dich in acht vor einem Mann mit einer Kurbel in der Hand!« Irgend etwas Dramatisches steht ihm bevor. Er muß unbedingt mit dieser Frau sprechen, er muß wissen, welche Gefahren auf ihn lauern! Wenn sie tatsächlich hellsehen kann, dann muß sie ihm doch alles sagen können!
Eine schreckliche Angst kriecht in ihm hoch. Er rennt los, läuft an dem Bistro vorüber, dann an einem Kino, und noch ein Stück zu einer Baustelle. War das Hotel so weit unten? Nein, jetzt steht er vor dem Fast-Food-Lokal, er muß das Hotel übersehen haben, weiter unten kann es nicht gewesen sein!
Patrick dreht sich auf dem Absatz herum und läuft die Champs-Elysees wieder hinauf bis zu der Baustelle. Ja, hier war’s! Hier stand das Hotel! Gestern noch. Heute ist das Gebäude mit einer riesigen Plane überdeckt: über Nacht ist ein häßliches Gerüst wie wuchernder Efeu darum herum gewachsen. Sämtliche Türen und Fenster sind herausgerissen worden. Patrick zweifelt an seinem Verstand. Vor ihm steht eine große Bautafel — und darauf, schwarz auf weiß:
»Baugenehmigung Nummer 48.212«
Das alte, schöne Gebäude im Stil der Jahrhundertwende braucht ein neues Gesicht. Das Hotel ist weg, die Frau ist weg. Und Patrick steht unberaten vor dem entsetzlichen Schicksal, dem er nicht mehr entrinnen kann. Oder vielleicht doch? Er muß sich sofort in Sicherheit bringen, nach Hause fahren, sich in sein Zimmer einsperren und auf keinen Fall vor morgen früh die Wohnung verlassen.
Eine Stunde später steht er vor seinem Wohnblock, völlig zerfahren vor lauter Panik. Er fliegt die Treppen hinauf, erster Stock, zweiter, dritter, vierter... geschafft! Da ist die Tür, endlich, jetzt kann ihm nichts mehr passieren! Zitternd greift er in seine Tasche, durchwühlt sie, tastet sie ab, durchsucht die Jeanstaschen — nichts! Er hat seine Schlüssel verloren. Auch das noch! Was nun? Er kann doch nicht die ganze Nacht hier bleiben, die Gegend ist viel zu gefährlich, Überfälle sind an der Tagesordnung. Deswegen sind die Schlösser auch so einbruchsicher. Nur der Notdienst könnte helfen, aber es ist schon spät, so etwas kostet ein Vermögen, und es dauert sowieso Stunden bis sie kommen. Patrick muß sich etwas einfallen lassen, sich irgendwo verkriechen... wenigstens bis Mitternacht. Am besten geht er in ein Café — da wird ihn wohl niemand mit einer Handkurbel niederschlagen.
Draußen ist es schon dunkel. Die überfüllten Vorortbusse karren die letzten Fuhren todmüder Arbeiter zu ihren Schlafstädten — in diese leblose Betonwelt, die sich immer enger und bedrohlicher um Paris drängt. Ab 8 Uhr abends traut sich hier kaum noch jemand auf die Straße. Wozu auch? Nirgendwo ein Restaurant oder ein Kino, nicht einmal eine Imbißstube!
Patrick irrt umher in dieser trostlosen, beängstigenden Stille, er schleicht an den Mauern entlang, streift wie ein Schatten durch die Nacht. Das einzige Bistro, das länger offen hat, liegt ziemlich weit weg, an der Endhaltestelle der Metro.
Nach einer guten halben Stunde biegt Patrick endlich in die Hauptstraße ein. Gleich hat er es geschafft! Er ist so erleichtert, daß er blind über die Straße läuft. Bremsen quietschen , ein Lastwagen schlingert auf ihn zu — Patrick springt auf die Seite, der Laster streift knapp an ihm vorbei und kommt ein paar Meter weiter endlich zum Stehen. Um ein Haar hätte es ihn erwischt! Der Fahrer steigt aus, wutentbrannt:
»Mensch, hast du Tomaten auf den Augen?«
»Das ist er, gleich holt er die Kurbel«, jagt es Patrick durch den Kopf. Er hat Todesangst und bringt keinen Ton heraus. Der Fahrer pflanzt sich vor ihm auf und schreit ihn an:
»Steh auf, du Würstchen!«
Erbärmlich stammelt Patrick lauter wirres Zeug:
»Ich... ich... habe meine Schlüssel... verloren...«
»Du hast sie wohl nicht mehr alle!« brüllt der Mann und packt ihm am Kragen.
Da ertönt im richtigen Augenblick ein lautes Hupkonzert und rettet Patrick aus seiner schwierigen Lage. Der Laster steht nämlich mitten auf der Fahrbahn und blockiert den Verkehr. Es steigen schon Leute aus und schimpfen in die Runde, ohne überhaupt zu wissen, was passiert ist. Der Lastwagenfahrer läßt Patrick los, zuckt mit den Schultern, steigt ein und fährt weiter.
Patrick zittert vor Schreck am ganzen Leib und schleppt sich bis zum alten Bistro. Es ist mittlerweile neun Uhr abends — noch drei Stunden und
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