Depesche aus dem Jenseits
dem Laken verhüllt und sitzt stumm auf der Bettkante; sie starrt auf den Boden, zusammengekrümmt, als erwarte sie gleich eine Tracht Prügel.
Ihr Liebhaber — ein Mann von athletischer Statur — gewinnt als Erster wieder die Fassung und erklärt mit tiefer, feierlicher Stimme:
»Herr Holdorf, erlauben Sie, daß ich mich anziehe... ich stehe Ihnen gleich zur Verfügung.«
Der Hahnrei zieht verwundert die Brauen hoch — es ist ihm deutlich anzumerken, daß er nicht recht versteht, was sein Rivale darunter versteht: »...ich stehe Ihnen gleich zur Verfügung...« Wozu denn?
»Ich nehme an, daß Sie von mir eine Erklärung erwarten, Herr Holdorf?«
»Höh... nun... was gibt es hier noch groß zu erklären?«
Gewiß, alle Gehörnten der Welt geben irgendwann eine lächerliche Figur ab — das liegt in der Natur der Sache. Doch dieser hier ist mehr als lächerlich, er macht einen ausgesprochen erbärmlichen Eindruck! Andererseits wirkt er irgendwie auch sehr rührend.
Herr Holdorf ist klein und beleibt, sein Gesicht rund wie ein Pfannkuchen. Die schmutzige Brille rutscht ihm auf die lange Nase; der Schnurrbart, gelbbraun von Nikotin gefärbt und nach oben gezogen, paradiert unter den leeren Augen. Ein sehr trauriger Mann, und außerdem viel zu ruhig! Neben dem gutaussehenden Rivalen fühlt er sich von vornherein geschlagen und wartet beinahe unterwürfig, während der Ehebrecher würdig in seine Hose hineinschlüpft. Ausgerechnet in diesem Augenblick hält es der Geliebte auch noch für angebracht, mit seiner Verteidigungsrede zu beginnen:
»Herr Holdorf, glauben Sie mir, wir bedauern diese schmerzliche, peinliche Situation. Colette wollte schon lange mit Ihnen reden, doch... nun ja, sie traute sich nicht! Sie mag Sie sehr, wissen Sie!«
Der Ehemann sagt immer noch nichts und schaut aufmerksam zu, wie der Andere sein Hemd zuknöpft, es dann sorgfältig in die Hose steckt und seinen Gürtel zuschnallt.
»Ja, Herr Holdorf, Colette mag Sie wirklich sehr, und ich bin der Meinung, daß sie weiterhin Ihre Hochachtung verdient.«
Daraufhin kriecht der Geliebte auf allen vieren und sucht seine Schuhe unter dem Bett, aber er redet dabei weiter, ganz selbstverständlich:
»Wissen Sie, Herr Holdorf, die Sache ist nicht so, wie Sie vielleicht jetzt annehmen. So einfach ist es nicht. Colette und ich, wir lieben uns! Und wir hoffen beide, daß Sie Verständnis haben werden.«
Endlich rafft sich der Hahnrei auf und stammelt die kümmerliche Frage: »Wie lange geht das schon?«
»Sechs Monate.«
Sechs Monate. Und er hat davon nichts geahnt! Es ist also noch ernster, als er zuerst dachte. Diese Kindfrauen mit ihrer Unschuldsmiene können ein ungeheuerliches Talent entwickeln, Männer zu vernichten! Jetzt redet auch sie, so als wolle sie um Verzeihung bitten, ihre Puppe kaputt gemacht zu haben:
»Paul, bitte, sei nicht traurig... ich wollte dir nicht weh tun! Und außerdem, weißt du, wenn du bis jetzt nicht verhaftet wurdest, dann verdankst du es nur ihm! Ja, er hat dich gerettet!«
»So?«
Paul Holdorf wendet sich wieder seinem Rivalen zu. Keine Frage — er ist ein sehr attraktiver Mann. Jetzt, da er angezogen ist, wirkt er sehr elegant, sehr distinguiert und selbstsicher. Ein Mann von Welt. Er spricht auch sehr gewählt.
»Ich bin Journalist. Seit Beginn der Diktatur in Rumänien bin ich hier zwar nicht besonders gern gesehen, aber trotzdem, ich habe noch gute Beziehungen, die sich als sehr nützlich erweisen. Ich habe Freunde in vielen Botschaften. Als Colette mir sagte, daß Sie — genauso wie ich — Exilösterreicher russischer Abstammung sind, da war es für mich eine Selbstverständlichkeit, auch Sie von meinen Beziehungen profitieren zu lassen.«
Der Ehemann mustert den Journalisten und spürt dabei unwillkürlich eine Spur von Bewunderung für diesen Mann, der gerade dabei ist, ihm seine Frau zu stehlen. Er bedankt sich zwar nicht, aber beinahe! Auch er hat Beziehungen, doch ganz anderer Art. Seine besten Freunde sind ein Zeitungsverkäufer, ein Ober und ein Hotelportier... Nein, Paul Holdorf macht sich keine Illusionen, was seinen eigenen Wert betrifft: Er sieht weder gut aus noch ist er reich, er ist nicht sehr gebildet, nicht geistreich und auch nicht mutig. Außerdem ist er Jude — und das ist in diesen Zeiten keine Empfehlung. Er war damals selber erstaunt, als Colette — eine einfache, aber selten schöne junge Frau — sich bereit gefunden hatte, ihn zu heiraten! Von Anfang an hatte er
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