Depesche aus dem Jenseits
meinen Sie?«
»Lieben Sie sie?«
»Ja, ich sagte es Ihnen schon.«
»Wollen Sie sie heiraten?«
»Ich möchte gerne, ja. Wenn Sie in die Scheidung einwilligen. Herr Holdorf.«
Der rundliche Ehemann bleibt einige Sekunden lang stehen, in Gedanken verloren, und wie schon beim er-sten Treffen — traurig und viel zu ruhig — von vornherein geschlagen, nickt er unterwürfig und geht.
Zwei Wochen später, in demselben Café, sitzen sich die beiden Männer wieder gegenüber.
»Ich weiß Bescheid, Herr Labalski, meine Frau hat mir alles erzählt. Ich weiß, daß Sie den Artikel im »Daily Herald« geschrieben haben und ich weiß auch, daß Hitler außer sich vor Wut ist! Das hat mir mein Freund gesagt.«
»Ja, das kann man sagen! Der deutsche Botschafter wurde dafür verantwortlich gemacht und sofort nach Berlin abberufen.«
»Das ist sehr gut.«
»Es ist Ihr Verdienst.«
»Nein, Sie hatten den Mut, darüber zu schreiben! Jetzt stehen Sie auf der schwarzen Liste. Haben Sie die Artikel gegen Sie gelesen?«
»Oh ja! Ich kenne sie alle! Deutschland hat sofort dementiert, und der rumänischen Presse blieb nichts anderes übrig, als gegen mich zu hetzen, ich weiß! Es dauert nicht mehr lange und ich werde untertauchen müssen!«
»Haben Sie keine Angst?«
»Wovor? Mir kann nicht so viel passieren, wie Ihnen. Ich kann höchstens des Landes verwiesen werden, mehr nicht!«
»Ja, für Sie ist es vielleicht nicht so schlimm, aber für meine Frau, sie liebt Sie!«
Zum ersten Mal schaut der Journalist den kleinen Mann mit anderen Augen an — und er findet ihn überhaupt nicht mehr lächerlich:
»Ich verstehe Sie nicht... Sie lieben sie doch auch!«
»Ja, aber ich bin Jude. Ich kann nichts für sie tun. Sie schon.«
»Herr Holdorf, ich passe schon auf mich auf, und ich werde mich um Colette kümmern. Machen Sie sich keine Sorgen, ich verspreche es Ihnen.«
Als Exilösterreicher befindet sich Gregori Labalski jedoch in einer schwierigen Lage. Als die Vereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich im März 1938 vollzogen wurde, lebt er schon in Rumänien. Jetzt, da der Anschluß offiziell anerkannt ist, gelten alle Österreicher als deutsche Staatsbürger. Labalski muß sich also an die deutsche Botschaft in Bukarest wenden, um seinen österreichischen Paß verlängern zu lassen. Dort warten böse Überraschungen auf ihn: Zuerst wird er vom Konsul beschuldigt, sich als schlechter Deutscher erwiesen zu haben. Zweitens bekommt er keinen deutschen Paß. Und drittens wird sein österreichischer Paß beschlagnahmt! Gott sei Dank sind die rumänischen Behörden, dank der guten Beziehungen Labalskis, viel kulanter: Von Woche zu Woche verlängern sie sein Visum... bis zu dem Tag, an dem auch die Rumänen nichts mehr machen können: Die Nazis haben gewonnen — Labalski muß das Land binnen einer Woche verlassen.
Von diesem Augenblick an überstürzen sich die Ereignisse. Labalski entschließt sich, nach England zu fliehen und hofft, trotz seiner neuen deutschen Staatsangehörigkeit dort einreisen zu dürfen. Seine Zeitung setzt alle Hebel in Bewegung, um dem langjährigen, geschätzten Auslandskorrespondenten zu helfen.
Kurz vor seiner Ausweisung trifft sich Labalski mit Holdorf, dessen Lage nicht rosiger aussieht..
»Nehmen Sie Colette mit?« fragt der betrogene Ehemann ruhig.
»Wenn Sie damit einverstanden sind, ja. In England wäre sie in Sicherheit.«
»Und die Kinder?«
»Wenn Sie wollen, nehme ich auch die Kinder mit, Herr Holdorf.«
»Gut. Ich vertraue sie Ihnen an.«
»Warum kommen Sie nicht mit?«
»Ich bin ein überflüssiger Mann... und lästig!«
»Colette wird niemals damit einverstanden sein. Sie hier allein zurückzulassen!«
»Meinen Sie? Kann sein, aber sie muß es tun. Wenn ich mitgehe, haben wir alle keine Chance. An der Grenze werde ich verhaftet! Ich bin für alle nur eine zusätzliche Gefahr.«
»Sie müssen es dennoch versuchen. Hier können Sie nicht bleiben!«
»Vielleicht haben Sie recht...«
Ein paar Tage später stehen sie am Kai im Hafen von Konstanza vor einem griechischen Schiff, das sie alle nach England bringen soll: Der betrogene Ehemann mit seiner hübschen Frau und den beiden Kindern — dazu der elegante Journalist.
Plötzlich heult eine Sirene in der Ferne. Das Gemurmel der Passagiere, die sich auf der Landungsbrücke drängen, verstummt augenblicklich. Einige flüstern voller Panik: »Die Zigurenza! Die Zigurenza!«
Die Zigurenza, das ist die rumänische
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