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Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige

Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige

Titel: Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John P. Kummer Fritz Kamer
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muss. Dass hier der Einfluss von Kultur und Erziehung eine große Rolle spielt, liegt auf der Hand.
    Betroffenen Menschen liegt der Gang zum Psychiater so fern wie eine Reise zum Mond. Sie erkennen den Krankheitscharakter ihres Zustandes nicht. Sie meinen, dieser sei eine Sache ihres Charakters, besonders wenn »schon Mutter oder Vater …«. Sie wursteln sich durch, solange sie können, und sehen ihre Lage als gottgegeben an. Sie sind misstrauisch gegen Therapien und Medikamente (»Das sind Drogen!«) und meinen (und werden in ihrer Ansicht oft von außen bestärkt), »mit etwas gutem Willen« ließe sich alles zum Besten wenden. Wenn dies nicht gelingt, so suhlen sie sich in ihrer Misere und sehen sich oft gar als Märtyrer, die »hart im Nehmen« sind. Außerdem können sie ihren Zustand als Druckmittel einsetzen, um zu mehr Beachtung, Verständnis, Besuchen zu kommen (siehe auch Lelord/André (2005, S. 200 f.).
    Der Umgang mit solchen Leuten ist für uns »gesunde« Angehörige, Partner, Freunde usw. nicht einfach. Viele Probleme im Umgang mit eigentlichen Depressionsbetroffenen, die ich in der Folge aufzeige, bestehen auch hier, wenngleich in abgeschwächter Form. Ich greife vor: Auch hier sind Geduld, Respekt und Einfühlungsvermögen ebenso gefragt wie Diplomatie. Dies beginnt mit dem Vorschlag, sich einmal zu einem Spezialisten, zumindest zum Hausarzt zu begeben. Angehörige können zumindest eine laienhafte Diagnose stellen (siehe S. 73 ff.) und das Gespräch mit ihm suchen.
    Die Grenze zur eigentlichen Depression mit ihren schweren Konsequenzen bis hin zum Suizid ist fließend, die Maßnahmen, die in diesem Buch besprochen werden, sind also auch hier angebracht. Schließlich können auch in »undramatischen« Fällen die Heilmittel Psychotherapie und Psychopharmaka eine unerwartete Verbesserung der Lebensqualität bringen. Lelord und André (2005, S. 203 ff.) zitieren eine Frau, die fast zufällig mit Psychopharmaka in Kontakt kam und eine nie gekannte Freude am Leben kennenlernte, nach vielen Jahren des »Wanderns im Schatten«, wie es in einem Spiritual heißt.
    Latente Depression
    Der Luzerner Psychotherapeut Josef Giger-Bütler (2003, S. 169 ff.) schildert die Erscheinungsform der latenten Depression sehr klar vom Phänomen der Überforderung her.
    Die Betroffenen erleben sich selbst als nicht depressiv, ihre Umgebung schon gar nicht. Sie zeigen sich als tüchtig, sensibel und hilfsbereit. »Nichts ist ihnen zuviel« (S. 171). Das innere Erleben aber ist ein ganz anderes: Sie sind von Selbstzweifeln geprägt, sie »leiden an der … Spannung, wie sie sich sehen und wie sie von anderen gesehen werden. … Sie leiden an ihrem … Gefühl des Unvermögens trotz der Bestätigungen und Zuwendungen, die sie erhalten« (S. 172).
    Dieser Zwiespalt erzeugt einen großen Energieverschleiß. Unerklärliche Stimmungstiefs und Ängste generieren sich aus der Überforderung, dem Grundmuster der depressiv veranlagten Menschen. Und wenn der Aufwand zu groß wird, schlägt der Zustand um in eine manifeste Depression. Es kann sein, dass diese durch Selbstheilungskräfte, Medikamente oder Therapien wieder abklingt. Das heißt, der Betroffene wechselt wieder in den Zustand der latenten Depression mit der Möglichkeit eines erneuten Umschlagens – solange das Grundmuster der Überforderung nicht erkannt und das Verhalten nicht geändert wird.
    Überforderung als Grundmuster
    Auf das Phänomen der Überforderung baut Josef Giger-Bütler (2003) sein ganzes Gedankengebäude zur Entstehung, zur Dynamik, aber auch zur Therapie der Depression auf.
    Er nennt die Überforderung das »Grundmuster depressiven Erlebens« (S. 31). Überforderung ist nicht nur die Ursache einer Depression, sondern der Erkrankte überfordert sich aufgrund einer »bestimmten Dynamik des Depressivseins« laufend in dem Bestreben, aus seiner Lage herauszukommen. Das gelingt ihm nicht, und dafür schämt er sich, er kann nicht aufgeben, »so etwas macht man nicht, eher würde man sterben« (S. 202). Statt dass er sich nach einem Misserfolg fragt, was schiefgelaufen ist, was man anders angehen müsste usw., ergeht er sich in Selbstvorwürfen des Versagens.
    Giger-Bütler sieht den Grund für diese depressive Veranlagung in der Kindheit und in der Familie. Die Verhältnisse müssen nicht zerrüttet sein, es kann sich um ganz unauffällige Familien handeln, vielleicht mit einem dominanten Vater oder einer allzu fürsorglichen Mutter, in denen zu viel von den

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