Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige
überforderten Geistes und Körpers ist, wird nicht Kenntnis genommen. Auf die Idee, dass eine Aufgabe, in langsamerem Tempo oder in Etappen aufgeteilt, vielleicht lösbar wäre, kommt man nicht. Gibt man einmal nach, ist man im Teufelskreis des Immer-wieder-Nachgebens. Der Erfolgszwang sagt: »Ich muss unbedingt …!«. Darin kommt die eigentliche Lieblosigkeit zu sich selbst zum Ausdruck.
Nach Giger-Bütler (S. 205 ff.) entsteht die Ermüdung dadurch, dass jemand all die kleinen und großen Verletzungen und Verleugnungen im Lauf seines Lebens nicht wahrhaben und anschauen will. Dadurch haben Seele und Körper nie das bekommen, »was sie brauchten: Erholung, Pflege, Rücksichtnahme und Fürsorge«. Je geschundener Seele und Körper sind, desto verletzlicher sind sie, desto mehr Verleugnungsaufwand muss zu ihrem Schutz getrieben werden.
Traurig stimmt auch die folgende Feststellung Giger-Bütlers (S. 207): »Ein Großteil der Gefühle, der Wünsche, Hoffnungen, Erwartungen darf nicht angeschaut werden, hat keinen Platz im Leben der depressiven Menschen.« Auch die in jedem Fall auftauchende Angst, an einer (großen oder kleinen) Aufgabe zu scheitern, darf nicht angeschaut werden und nimmt deshalb nie ab, sondern zu.
Der Kranke steckt wie ein Hamster in einem Laufrad. Da er mit jeder Niederlage immer tiefer in der Depression versinkt, findet er nicht mehr heraus, sogar wenn die Selbstheilungskräfte eine Depression abklingen lassen – beim nächsten Abtauchen dreht sich das Karussell erneut.
Das muss aber nicht sein. Ein erneutes Abtauchen kann vermieden werden, wie der Lebenslauf von John P. Kummer zeigt. Er kam aus dem Teufelskreis heraus, indem er sich intensiv mit dem Phänomen Depression beschäftigte. In anderen Fällen kann der Depressionsbetroffene (so auch einer meiner Freunde), wenn er den kommenden »Tauchgang« spürt, mit Medikamenten, eventuell mit einer Erhöhung der bestehenden Medikation den Teufel verscheuchen. In vielen Fällen sind »Abstürze« von der latenten in die manifeste Depression auch durch ständige Einnahme von Medikamenten vermeidbar, welche, nota bene, auch die latenten Phasen erträglicher machen.
Depressionen in jeder Lebensphase
Eine weitere Hilfe zum (Früh-)Erkennen und Verstehen einer Depression ist die Beschäftigung mit ihren verschiedenen Erscheinungsformen, die im Laufe eines Menschenlebens auftreten können. Angesichts der Menge vertiefender Literatur für den Einzelfall begnüge ich mich mit einem Überblick. Wie immer hilft eine Klassifizierung bei der Darstellung, und wie immer entzieht sich die Natur einer Klassifizierung, es gilt auch hier: Wie viele Depressionskranke so viele verschiedene Depressionen. Immerhin erleichtert die Klassifizierung das Finden von Heilungsmaßnahmen, da in ähnlichen Fällen ähnliche Therapien ausprobiert werden können.
Depressionen können in allen Phasen eines Menschenlebens auftreten. In keiner dürfen sie vernachlässigt werden. Zwar können die Auslöser je nach Alter und Geschlecht andere sein, die Symptome ähneln sich aber, wenngleich sie leichter oder schwerer erkennbar sind. Die Verhaltensweisen der »gesunden« Umgebung müssen dem Einzelfall angepasst sein, wenn sie nützen und nicht schaden sollen.
Bei all diesen Erscheinungsformen ist die Aufmerksamkeit der Angehörigen von immenser Bedeutung: Ein Kleinkind kann sich nicht ausdrücken, ein Greis spielt seine Melancholie herunter, alle Altersklassen und beide Geschlechter »schämen sich«. Dies alles zeigen die folgenden Ausführungen.
Kinderparadies
Warum fallen Kinder in Depressionen? Der Auslöser »Verlust« ist wohl der wichtigste: Trennung, Scheidung, Tod der Eltern, aber auch Verpflanzung durch Ortswechsel und – sehr häufig – sexueller Missbrauch (Verlust der körperlich-seelischen Integrität). Eheschwierigkeiten oder gar Depressionserkrankungen der Eltern, Probleme mit anderen Erziehern oder (dominanten) Gleichaltrigen, Schwellensituationen wie Prüfungen oder Lehrstellenantritt: Alle diese Lebensumstände können großen Stress auslösen. Dieser kann zu einer Überforderung führen, die den ganzen Lebensweg des Kindes bis ins Erwachsenenalter beeinträchtigen kann (siehe Kapitel S. 58 ff.).
Kleine Kinder können ihren Gefühlen schwer oder überhaupt nicht Ausdruck verleihen. Dabei treten Depressionen bereits bei Säuglingen auf, wenn auch nur in wenigen Einzelfällen. Wenn die Mutter oder auch nur die Mutterliebe fehlt, ist die Gefahr depressiver
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