Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige
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Wahrheit oder Klischee?
Vorurteile überall
In unserem Umgang mit Depressionsbetroffenen werden wir immer und immer wieder von Vorurteilen und Klischees eingeholt. »Wohlmeinende« Bekannte, denen wir uns anvertrauen oder die uns – pardon – die Würmer aus der Nase ziehen, wollen uns trösten, indem sie über die Psychiater schimpfen, die Depression als Modekrankheit abtun oder hinter dem Nicht-Können des Kranken ein (zumindest anteilmäßiges) Nicht-Wollen vermuten.
Auch wir selbst werden immer wieder von Zweifeln geplagt, »ob es nun wirklich so schlimm sei«. Diese Zweifel treten auf, wenn wir zum ersten Mal mit der Krankheit konfrontiert sind, aber auch später, wenn wir müde oder wütend oder beides sind und uns innigst wünschen, das Theater (!) möge bald ein Ende haben. Und dann beschleicht uns doch wieder das unangenehme Gefühl, dem Kranken nicht mit dem nötigen Respekt zu begegnen. Es ist für uns als Betreuer sehr wichtig, dass wir mit diesen Gedanken möglichst aufräumen.
Psychiater: Besser als ihr Ruf
Was aber, wenn unser Freund sich wochenlang psychotherapeutisch behandeln lässt und wir überhaupt keinen Fortschritt sehen? Mit welchem Recht nennen sich diese Damen und Herren Fachleute, wenn sie nicht mehr fertigbringen als unsereiner? Die Psychiater gehören zu den schlechtest verdienenden Medizinern. Ihr Tun ist uns unheimlich; wir denken an die Freud’sche Couch und an endlose Monologe des Patienten. Auch andere psychisch Kranke (»Verrückte«) gehen da ein und aus, und unser Freund ist doch nicht verrückt. Ihre Methoden sind Nicht-Fachleuten nicht bekannt und deshalb verdächtig. Viele Depressionsbetroffene schrecken vor einer Behandlung zurück. Zu viele Vorurteile schwirren herum. Oder sie haben Angst, dass der Guru am Kopfende der Couch zu viel von ihnen verlangt, zum Beispiel, dass sie ihr Leben ändern müssten. Da liegt es an uns, beim Kranken Vertrauen in den Therapeuten zu vermitteln. Vielleicht muss dieser mehrmals gewechselt werden, bis die Chemie stimmt. Denn 80 Prozent der Patienten können wieder »funktionsfähig« gemacht werden. Dieser Prozentsatz ist um einiges höher als in anderen medizinischen Disziplinen.
Damit wir das können, müssen wir selbst Vertrauen haben. Und da geht es darum, sich in die Behandlung einzubringen, Arztgeheimnis hin oder her. Wir müssen wissen, was da vor sich geht. Wir haben ein Recht dazu. Erstens gehören wir zum Betreuungspersonal, und zweitens können wir die Behandlung durch zusätzliche Fakten und Aspekte unterstützen. Wie das zu geschehen hat, müssen wir der Fachperson überlassen, wir dürfen ihr ja nicht ins Handwerk pfuschen, aber aufgeschlossene Fachleute werden unsere Mitarbeit begrüßen.
Krank oder faul?
Noch schwieriger ist der Einblick in die Seele des Mitmenschen, wenn es sich um eine Person handelt, die auch bei guter Gesundheit eher zur Bequemlichkeit neigt. Wir Betreuer dagegen seufzen unter unserer Doppelbelastung. Da sind Wut oder Resignation nicht weit. Verwandte, die den Patienten kennen, sind auch gerne bereit, leichthin das Nicht-Können mit dem Nicht-Wollen zu erklären. Und doch, »wie’s da drin aussieht«, können wir Gesunde uns sehr schlecht vorstellen. Wir müssen diese Tatsache annehmen, auch wenn es uns scheint, es bedürfte manchmal eines in unseren Augen nur kleinen Schrittes, wenigstens hin und wieder auf den Pfad der Normalität zurückzukehren.
Und wir Angehörige?
Und, was ist mit unseren seelischen Ups und Downs? Wie weit ist es uns erlaubt, während der Depression unseres Nächsten eine Zeit lang auf Sparflamme zu leben und zu arbeiten, weil der Körper oder die Seele uns mittels Niedergeschlagenheit und Unlust ins Gewissen redet? Wo liegt die Grenze zwischen Auszuhaltendem und zu Kurierendem? Sind wir geneigt, bei unserem Angehörigen zu vermuten, mit etwas gutem Willen könnte er es auch mit Bordmitteln schaffen? Es ist für uns schwierig, beim anderen diese Grenze zu sehen – hüten wir uns vor Vorurteilen, aber nehmen wir die Sache nicht allzu schwer!
Unser Trost liegt in dem Umstand, dass dieses Nicht-Können niemals absolut ist, sonst wäre es dem in der Depression Versunkenen unmöglich, eines Tages wieder aufzutauchen. Ein Quäntchen Mitarbeit durch den Kranken erfordert jede Therapie, und sei es nur, die Psychopharmaka regelmäßig zu nehmen. Es ist ein Gemeinplatz: Je größer der Wille, »herauszukommen«, desto rascher die Heilung. Freilich lauert angesichts
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