Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige
schließen: Erstens einmal fällt die Neuverteilung der Aufgaben leichter, wenn sie schon vor der Krise innerfamiliär modernen Grundsätzen folgte und flexibel gehandhabt wurde. Es lohnt sich, behutsam zu prüfen, welche Aufgaben wir dem Kranken noch zumuten können. Ist die Entlastung vielleicht nicht so groß, so kann sie doch dem Kranken das Bewusstsein geben, nicht nur eine Last zu sein.
Schließlich aber kann die Krise zur Entdeckung von schlummernden Talenten führen! Muss die Mutter Funktionen wahrnehmen, die Vater als »Außenminister« ausgeübt hat, entdeckt sie vielleicht ihr Talent als Verhandlerin, was ihr zu neuem Selbstwertgefühl verhilft. Oder der Vater kommt, als temporärer Hausmann und Mutterersatz, seinen Kindern näher als er je vermutete. Wir wachsen über uns hinaus, übernehmen Aufgaben, denen wir uns früher nicht gewachsen fühlten.
Vielleicht führt das, nach Überwindung der Krise, zu einer Neuverteilung der Aufgaben und – noch besser – zu einer vertieften Betrachtung der Partnerschaft und des Familienlebens. Dies kann durchaus auch zu »Neuverhandlungen« führen.
»Ja, mach nur einen Plan …
… und sei ein großes Licht. Und mach dann noch ’nen zweiten Plan, geh’n tun sie beide nicht!« Soweit Bertold Brecht in der Dreigroschenoper. Die ständige Ungewissheit bezüglich des Befindens unseres Familienmitgliedes zehrt an den Kräften der ganzen Familie. Ich führe dazu zwei Beispiele an.
War es die Familie bisher gewohnt, an Sonntagen einen Radwanderung zu unternehmen, mit Lagerfeuer und Picknick am Waldrand, so ist diese »Tradition« nun infrage gestellt. Der Kranke will oder kann nicht mitkommen. Sollen wir ihm zuliebe zu Hause bleiben? Macht der Ausflug auch Spaß ohne ihn? Wer plant die Route? Wer füllt den Fresskorb? Wer schaut unterdessen zum Kranken? Bleiben wir zu Hause, so gehen die älteren Kinder ihre eigenen Wege, die Ausflugstradition findet unmerklich ihr Ende. Wir sitzen zu Hause, sind dem Bremsklotz mehr oder weniger gram, verzichten auf die frische Luft und die Bewegung.
Splendid Isolation?
Ein weiterer »Energiefresser« liegt in der Pflege unseres sozialen Netzwerkes. Dieses muss, im Rahmen des Möglichen, unbedingt aufrechterhalten bleiben. Dies ist nicht nur für uns Angehörige überlebenswichtig – ich komme noch darauf zurück sondern auch hilfreich für den Depressionsbetroffenen. Mit zunehmender Entstigmatisierung sollte sich der Kranke seiner Situation weniger schämen, und die Gesunden weniger Hemmungen haben, den Kontakt mit ihrem früher so lustigen, herzlichen Freund weiterzupflegen.
Trotzdem wird uns Angehörigen damit eine weitere Last aufgebürdet. Sie erstreckt sich auf verschiedene Gebiete. Erstens einmal müssen wir die Erkrankung kundgeben. Wir dürfen uns nicht mit unserem Patienten ins Schneckenhaus zurückziehen. Obwohl wir wahrlich andere Sorgen haben, dürfen wir nicht unwillig auf die oft unbedarften, von Unwissen zeugenden Fragen seiner und unserer Verwandten und Bekannten reagieren.
Oftmals müssen wir regelrechte Kurse im Umgang mit Depressiven geben. Es fängt damit an, dass wir die Krankheit »erklären« müssen. Vieles lässt sich heute mit »Burnout« abtun – dies bedingt allerdings ein gutes Gedächtnis unsererseits, und es kann sein, dass der Kranke in seinem Elend die wirklichen Ursachen nennt – oder gar übertreibt. Die Außenstehenden, wenn sie schon mal bereit sind, den Kontakt weiterzupflegen, müssen auf den Umgang mit dem Kranken vorbereitet werden. Dies ist recht schwierig, weil dessen Stimmungen unvorhersehbaren Schwankungen unterworfen sind. Da kann es schon mal passieren, dass wir uns den Vorwurf der Besucher anhören müssen, es sei ja gar nicht so schlimm. Nicht zu unterschätzen ist der seelische Aufwand, der dadurch entsteht, dass wir die Gespräche mit dem Depressionskranken lenken und überwachen müssen. Wir wissen ja besser als die Besucher, wie mit ihm umzugehen ist. Wir achten also ständig darauf, dass der Kontakt nicht wegen irgendeiner Bemerkung abbricht.
Eine Splendid Isolation wäre für alle Seiten unglücklich. Niemand kann uns helfend beistehen, wenn wir nicht nach außen kommunizieren, was mit uns geschehen ist. Jede Mauer, die wir aufrichten, um den Kranken zu schonen, treibt uns selbst weiter in die Isolation, ins Alleinsein mit dem Depressivkranken.
Geteiltes Leid ist nun mal halbes Leid. Vielleicht warten einige unserer Freunde nur darauf, uns zu helfen; sie ahnen die
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