Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige
Wir Angehörige verstummen immer mehr, denn wir wollen ihn nicht reizen, sondern schonen. Wenn wir etwas zu sagen haben, achten wir ganz genau auf die Wortwahl – dies belastet uns zusätzlich. Man konnte sich doch früher alles sagen, und jetzt? Wir werden einsam. Eine Grabesstille umgibt uns. So drastisch muss es nicht kommen, aber in diese Richtung geht es in vielen Partnerschaften.
Eltern-Kind-Beziehungen (oder umgekehrt) werden auf das Notwendigste beschränkt. Die Erziehung wird ausgesetzt, Tadel vermieden. Man lässt fünf gerade sein, der Haushalt verlottert, die Umgangsformen auch. Wir sind mit unseren Ängsten und Fragen allein. Es sei denn, wir suchten bei Außenstehenden Hilfe. Und das sollten wir.
Der Kranke kann auch stur sein und keinen Widerspruch dulden. Seine Sturheit kann z.B. in der Erziehung schlimme Folgen haben. Rechthaberei, Schwarzseherei, rasches Urteil über andere, kein Verständnis für deren Beweggründe, Schwarz-Weiß-Malerei, alles ist nur richtig oder falsch, gut oder schlecht (meistens falsch oder schlecht). Hier müssen wir uns die ehrliche Frage stellen, welche Eigenschaften schon vor der Depression in unserem Gegenüber schlummerten, aber mit Argumenten und Diskussionen bzw. Wegsehen vertuscht wurden? Diese werden durch die Depression verstärkt. Andere Züge an ihm sind vollkommen neu und uns unverständlich. Der einstige Luftikus ist zum überängstlichen Grübler geworden. Die schon früher vorhandenen Wesenszüge werden sich wieder auf das »Normalmaß« zurückbilden, von den anderen dürfen wir hoffen, dass sie nach der Gesundung ganz verschwinden.
Nimmt allerdings irgendein Denkmuster – Perfektionismus, Ängste, Todessehnsucht – selbstzerstörerische Ausmaße an, so müssen wir unbedingt Fachleute einbeziehen.
Die Einsamkeit, die wir in unserer Beziehung empfinden, hat ganz verschiedene Seiten. Es kann sein, dass das Verlassenheitsgefühl über uns zusammenschlägt, es kann aber auch sein, dass es uns guttut, einstweilen etwas Abstand vom Partner zu haben. Vielleicht können wir die neue Lage dazu nützen, ohne Zorn und Verzweiflung über grundlegende Fragen der Beziehungsgestaltung in der Zukunft nachzudenken. Da liegt auch die Frage nahe, ob getrennte Wege mehr Erfolg versprechen. Es versteht sich, dass wir uns diese Frage nicht leichten Sinnes stellen. Wir wollen ja weder die Flinte ins Korn werfen, noch das Kind mit dem Bade ausschütten – um diese abgedroschenen Bilder zu verwenden.
In dieses Nachdenken müssen wir uns auch selbst einbeziehen. Was hat die Depression unseres Partners mit uns selber zu tun? Sind wir gar ein möglicher Grund für die Depression? Hat unser Verhalten als Partner den anderen irgendwie verletzt? Diese Fragestellung gehört zu den schwersten in diesem Zusammenhang. Je ehrlicher wir sie beantworten, umso eher ist sie lösbar. Selbstvorwürfe sind aber nicht hilfreich. Wenn wir aus Schuldgefühlen heraus unseren Partner pflegen, ohne das Problem anzusprechen, bleibt es im Raum. Wenn wir das Problem ansprechen wollen, müssen wir auf unser beider Belastbarkeit achten. Oft ist das vergangene oder gegenwärtige Verhalten von Angehörigen durchaus Teil des Problems, aber man schiebt es beiseite: »Nicht jetzt …« Auch ist die nötige Ruhe der Seele nicht da, beide sind gereizt, eine fruchtbare Erörterung und Lösung »sine ira et studio« ist nicht möglich. Oder die Partner sind sich gar nicht bewusst – oder wollen es nicht wahrhaben, dass ihre bisherige Art der Partnerschaft Teil des Problems ist. In diesen Fällen muss der wachsame Psychotherapeut auch den Partner einbeziehen.
Eros schläft
Zur Depression gehört im Allgemeinen, dass auch der lustige Kerl namens Eros in Deckung geht. Die Teilnahmslosigkeit bzw. Beschäftigung mit sich selbst und die negative Grundhaltung vertreiben die Lust nach körperlicher Liebe. Die Lage erscheint viel zu ernst, als dass man sich leichtfertigen Verlustigungen hingeben dürfte. Das Gleiche gilt auch für uns Angehörige. Wir haben keine Lust auf solch zeitraubende Vergnügen oder genieren uns, dass wir neben unseren schweren Aufgaben auf solche Gedanken kommen.
Dabei muss es sich nicht um nächtelange Orgien handeln. Ein vergessener Gutenachtkuss kann zum Kardinalverbrechen werden, umgekehrt kann ein Streicheln über die Haare den Patienten aufs Höchste irritieren. Dabei sind Streicheleinheiten und Kuschelwärme auch gefragt. In der Frühphase, vor allem bevor die Depression erkannt ist,
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