Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige
sich unheimlich schlecht vor.
Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass mit »Stigma« auch der Teil des Blütenstempels (Pistillum) bezeichnet wird, der den Pollen aufnimmt und so befruchtet wird. Anfang eines neuen Lebens!
Langsamer Abschied von Tabu und Stigma
Zumindest können wir heute feststellen, dass immer mehr Menschen bereit sind, über psychische Krankheiten zu reden, und man trifft auch immer mehr Personen, die davon eine Ahnung haben oder gar damit vertraut sind. Bei Gesprächen entdeckt man wachsendes Verständnis, und man hat das Gefühl, dass diese Leute der Stigmatisierung entgegentreten, wenn sie irgendwo auftauchen sollte. Tritt man via Medien an die Öffentlichkeit, schlagen einem praktisch nur Wellen von Verständnis und Sympathie entgegen. Es gibt unzählige Schriften zum Thema »Depression«, und neuerdings ist die berufliche Erschöpfungsdepression als »Burnout« salonfähig geworden, indem der Betroffene als ein »Opfer« der grausamen Wirtschaft erscheint.
Versteckspiel am Arbeitsplatz
Trotz dieser positiven Entwicklung fühlen viele Betroffene und deren Familien auch heute noch die Notwendigkeit, die Krankheit zu verheimlichen. Groß ist die Scham. Groß ist auch die Angst, dass der Arbeitgeber davon erfahren und dass damit der Arbeitsplatz verlorengehen könnte. Der Chef verlangt totale Leistung, aber in einer Depression kann ein Mensch nicht voll arbeiten. Er kann vielleicht den Leistungsabfall eine gewisse Zeit verschleiern, aber mit fortschreitender Krankheit fällt ihm dies immer schwerer, bis eines Morgens der Gang zur Arbeit einfach unmöglich wird. Manchmal kann man sich mit »Grippe« einige Zeit entschuldigen, aber bei einer länger dauernden Depression kommt der Zeitpunkt, wo die Firma aufgeklärt werden muss.
Auch bei kürzeren Erkrankungen wird die Lage in dem Moment kritisch, wenn sich der Betroffene als geheilt zurückmeldet. Wie reagiert der Arbeitgeber? Hier ist ein breites Feld von Verhaltensweisen zu beobachten: Es reicht von »Wir wollen sehen, ob Sie bei der gleichen Tätigkeit wie vor der Krankheit bleiben können« bis zu »Durch Ihre Krankheit sind Sie für uns zu einem Risikofaktor geworden. Sie suchen sich am besten einen neuen Job.« Leider überwiegt die letztgenannte Reaktion.
Bei Menschen mit schlechter, aber stabiler Befindlichkeit, also bei chronischen mittelschweren Depressionen oder auch bei chronischen depressiven Verstimmungen kommt es vor, dass die Arbeit fast das Einzige ist, zu dem man sich noch aufraffen kann, auch wenn die Tätigkeit oft mit wenig Energie und Begeisterung ausgeführt wird. Aber man funktioniert und fällt nicht auf, wenn man sich gescheit einrichtet. Ein verständnisvoller Chef oder Personalfachmann kann durch geeignete Arbeitszuteilung nützliche Dienste leisten.
Stigma im trauten Heim
Nicht im Berufsleben stehende Menschen, die in einer Depression stecken, werden vom Stigma ebenfalls betroffen. Die Nachbarn merken lange nicht, dass die Frau von nebenan sich zurückgezogen hat. Wenn sie es realisieren, gehen sie nicht auf die Erkrankte zu, sondern wenden sich von ihr ab. Dabei wäre diese oft froh, sie könnte sich ungezwungen mitteilen und so für Entspannung im sozialen Umfeld sorgen. Für Unbeteiligte oder Unwissende sind Menschen, die den sozialen Kontakt nicht mehr »normal« schaffen, »reif für die Klapsmühle« – eine schlimme Stigmatisierung. In den »Genuss« einer Stigmatisierung kommen auch die Psychiatriekliniken und sogar die Gemeinden, in denen die Kliniken stehen.
Vor allem ältere Eltern von Betroffenen reagieren oft auch sehr eigenartig. Obschon sie in den meisten Fällen dem Sohn oder der Tochter beistehen und helfen wollen, bringen sie es nicht fertig, intensiver über die Krankheit zu reden und geben einfach der Hoffnung Ausdruck, alles werde wieder gut. Solche Eltern sollten sich unbedingt über die Depressionskrankheiten ins Bild setzen. Je sachlicher, verständiger und vernünftiger sie mit dem Kranken reden und umgehen können, umso mehr Zugang finden sie zu der ihnen unvertrauten Welt.
Wieder anders liegen die Dinge, wenn es um die Außenwelt geht und die Eltern gefragt werden, was der Sohn oder die Tochter so mache. Da wird von angeblichen Aktivitäten des Betroffenen berichtet, oder es wird irgendeine Krankheit vorgeschoben, nur um nicht eingestehen zu müssen, dass das eigene Kind an einer Depression leide. Dabei wäre dieses vielleicht sogar damit einverstanden, dass man seinen Zustand
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