Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige
Seine neue Aufgabe ist besser auf ihn abgestimmt als dies je zuvor der Fall war. Das Schöne an diesem Fall ist die Tatsache, dass der Mann beim ersten Gespräch mit dem zukünftigen Chef seine Vulnerabilität und damit einen der Gründe, die ihn zur Stellensuche veranlassten, offenlegte. Der Chef nahm dies ebenso zur Kenntnis wie der Personaldirektor. Beim abschließenden Gespräch zur Festlegung der Anstellungsbedingungen bemerkte der zukünftige Chef, der Kandidat brauche sich wegen der Depression keine Sorgen zu machen. Man würde jetzt einmal schauen, wie sich die ganze Sache anlasse. Seither wurde er befördert und ohne Vorbehalt in die Pensionskasse aufgenommen.
Auf der anderen Seite wurde er für eine weitere Beförderung nicht berücksichtigt und fragte sich, ob diese Negativentscheidung mit seiner Vulnerabilität zu tun habe. Hier besteht eine graue Zone, die fast jeden Depressionsbetroffenen immer wieder beschäftigt. Man ist unsicher, ob man dann, wenn es wirklich drauf ankommt, vielleicht aus Sicherheitsgründen übergangen würde, obschon man sonst bestens qualifiziert wäre.
Für Alexander ist die Sache abgeschlossen, und seine etwas dicker gewordene Haut bewahrt ihn vor zusätzlichem Schaden. Er muss umgehen können mit weiteren Negativereignissen, wie zum Beispiel mit Kündigungen in seiner Abteilung. Er kann seine Mitarbeiter nicht halten, da er für deren Entlohnung (noch) nicht zuständig ist. So hat er noch immer seinen Anteil Stress, den er aber vor allem durch Abstandhalten gut verarbeitet. Dreimal pro Jahr geht er zum Arzt zur Kontrolle und zu einem Gespräch. Er nimmt ständig eine kleine Dosis Lithium und fühlt sich damit sicherer als ganz ohne Medikamente.
Im privaten Bereich geht es gut. Seine Frau hat sich von Anfang an über die Krankheit informiert. Eines der drei Kinder war etwas befangen und fiel in der Schule durch Konzentrationsschwächen auf. Das hat sich aber längst gelegt. In einem Gespräch mit dem Lehrer erkannte die Mutter, dass dieser über die Krankheit des Vaters gerüchteweise Kenntnis erhalten hatte. Die Familie hat sich auch schon überlegt, aus dem Dorf wegzuziehen, weil man doch den Eindruck hatte, dass die Nachbarn von der Krankheit wissen und sich etwas anders verhalten als vorher. Aber zur direkten Konfrontation scheint doch niemand den Mut zu haben. Also bleibt auch bei Offenheit doch immer etwas »kleben«, selbst wenn es nur vage Gefühle sind.
Leben mit dem Stigma
Die von einer Depression Betroffenen werden noch lange mit dem Stigma leben müssen. Für diejenigen, die ihrem Umkreis eröffnet haben, dass sie eine oder mehrere Depressionen durchgemacht hätten, ist dies weniger problematisch als für die, die aus beruflichen oder privaten Gründen ihre Krankheit zu verheimlichen suchen. Sich öffnen ist immer positiv und befreiend. Meistens kommen die Mitmenschen einem entgegen und sind ebenso froh wie der Betroffene, dass sie darüber reden können. Oft folgen Geständnisse, dass man sich auch schon klinisch behandeln lassen musste oder dass Verwandte oder Bekannte psychische Probleme haben bzw. hatten. So begibt man sich auf die Ebene der Krankheit, zeigt Solidarität, und das Gefühl von Befremden und Diskriminierung zwischen den zwei Gesprächspartnern wird abgeschwächt oder verschwindet. Einerseits wird der Betroffene ermutigt, sich weiter zu öffnen und darüber zu reden, was die Selbstsicherheit hebt und die Abwehrkräfte stärkt. Andererseits schafft man damit Zellen in der menschlichen Gesellschaft, die in aufgeklärter Weise über das Thema Depression zu reden wissen und ihrerseits das Stigma bewältigen helfen.
Es gibt leider viele andere »normale« Menschen, die ein Gespräch über die psychischen Krankheiten gar nicht erst aufkommen lassen wollen, es abblocken oder sofort das Thema wechseln. Sie reagieren aus verschiedenen Gründen so. Sei es, weil sie sich mit diesem Thema überhaupt nicht beschäftigen wollen, da sie Angst vor solchen Krankheiten haben, sei es, dass sie in ihrem Umfeld selbst betroffen sind. Für ihr Empfinden besteht das Stigma vielfach zu Recht und ist notwendig, damit man »gesund« von »krank« unterscheiden kann. Diese Menschen sind oft sogar der Ansicht, dass psychische Krankheiten gerechte Strafen für die Familie sind und dass man sich ihrer zu schämen hat.
Ein wichtiger Grund für das Verschweigen ist, dass der Betroffene und sein Umfeld die Entstehungsgründe der Krankheit schlecht oder gar nicht kennen und
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