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Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige

Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige

Titel: Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John P. Kummer Fritz Kamer
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ähnlich sein. Dass die Kosten einer Kampagne dagegen Peanuts sind, brauchen wir nicht zu betonen.
    Leider ist die Bedeutung der Psychiatrie innerhalb der Medizin umgekehrt proportional zum Anteil der psychischen Krankheiten an der Gesamtheit der Gesundheitsstörungen. Das Einkommen des psychiatrischen Personals (inkl. Ärzte) liegt am Schluss der Skala der medizinischen Einkommen. Auch das soziale Ansehen des Psychiaters ist, zumindest außerhalb Amerikas, durch vielerlei Vorurteile getrübt, nicht zuletzt, weil sich die Behandlungen über Monate hinziehen. Auch sind die Patienten weniger kooperativ als beispielsweise bei einem Herzleiden und geben bei Misserfolgen oder Verzögerungen dem Therapeuten die Schuld.
    Für die Forschung und Therapie wendet die öffentliche Hand vergleichsweise wenig Mittel auf. In der somatischen Medizin stehen immer ausgeklügeltere Apparaturen und immer spezialisiertere Fachärzte zur Verfügung. Somatische Krankheiten werden nach Ursachen und Folgen immer erklärbarer. Die Therapien sind klar vorgegeben und ihre Wirkung meist messbar. Dagegen ist das Krankheitsbild eines Depressionsbetroffenen schwammig und komplex, und die Heilung hängt sehr von Geduld, Erfahrung und Intuition der behandelnden Fachkraft und von den Betreuern ab – sowie vom Willen und Können des Depressionsbetroffenen.
    Tabus und Stigmata aus der Nähe betrachtet
    Nicht alle Tabus sind auf dem Rückzug
    Die meisten Tabus sind heute am Verschwinden, zum Beispiel die Darstellung der Sexualität oder die Privatsphäre des Menschen. Aber auch wenn in unserer Gesellschaft jede vierte Frau und jeder fünfte Mann mindestens einmal im Leben an einer Depression erkrankt und diese eine äußerst ernstzunehmende Volkskrankheit geworden ist, scheut man dieses Thema, man wechselt zu etwas Erfreulicherem und schweigt die psychischen Leiden lieber tot. Dies ist auch als Ausdruck des Unbehagens zu verstehen, dass die psychischen Krankheiten nicht leicht erklärbar sind. Große Teile der Bevölkerung waren noch nicht mit psychischen Krankheiten konfrontiert und verstehen entsprechend wenig davon. Auch gebildete Menschen können oder wollen sich nicht an solchen Diskussionen beteiligen, eine Tatsache, die die Depressionsbetroffenen immer wieder schmerzt. Als Betroffener möchte man die Krankheit den körperlichen Leiden gleichgestellt sehen. Die Depression hat ja auch biologische Wurzeln und kann mit bildgebenden Geräten aufgezeigt werden. Sie ist real und absolut geeignet für eine vertiefte Diskussion.
    Stigmata – Überbleibsel einer grausamen Vergangenheit
    Auf dem Feld der psychischen Krankheiten sind Stigmata viel ernsterer Natur als Tabus. Ein Tabu wertet nicht, ein Stigma sehr wohl.
    Die Stigmata als Wundmale Christi (erstmals aufgetreten bei Franz von Assisi, also über tausend Jahre nach der Kreuzigung) sind angesichts der Heiligenverehrung in der katholischen Kirche wohl die einzigen, die positiver Natur sind. Hingegen war das Brandmal, mit dem man »Verbrecher« schon im Römerreich auf Lebenszeit kennzeichnete, ein klarer und für jedermann sichtbarer Hinweis auf die Unwürdigkeit des im wahrsten Sinne »Betroffenen«.
    Geisteskrankheiten werden auch heute noch, oft unbewusst, als Zeichen einer begangenen Sünde oder zumindest eines wie auch immer gearteten Defekts des Kranken empfunden. Dieser wird in die Isolation getrieben. Folglich werden psychische Probleme eines Menschen totgeschwiegen, verheimlicht oder beschönigt. Der Betroffene wird gegenüber der Gesellschaft isoliert, zu Hause versteckt oder in einer möglichst fernen Anstalt »versorgt«. Er lebe jetzt in einer anderen Gegend, heißt es dann etwa. Man spricht von »Nervenzusammenbruch« statt von Schizophrenie oder Depressionserkrankung. Man berichtet, Frau X habe sich wegen einer unglücklichen Liebschaft umgebracht und verschweigt, dass sie unter schlimmen Wahnvorstellungen litt und nicht weiterleben wollte.
    Das wahre Gesicht des Stigmas kann so erschreckend sein, dass die Betroffenen und ihr Umfeld sehr weit gehen im Erfinden von Ausflüchten und Notlügen. Der Kranke wird tief in die Isolation getrieben, obwohl er eigentlich der Umwelt seinen Zustand erklären möchte und es dennoch nicht kann; obschon er gerne erzählen würde, wie es dazu kam, wie unglücklich er ist, wie er eigentlich die Menschen liebt und es nicht zeigen kann. Durch die Stigmatisierung erwächst dem Schmerz der Depression eine starke moralische Komponente, der Patient kommt

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