Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige
sich daher anhand der Symptome stigmatisiert fühlen. Unlust, Energiemangel und Müdigkeit haben negative Vorzeichen, man kann damit nicht prahlen. Wenn dann noch Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Grübeln und schlechter Schlaf dazukommen und Ängste auslösen, so sind das Symptome, die man nicht durch Aufmunterung und eigene Willenskraft wegbringt. Ein gewisser Prozentsatz dieser Patienten geht zum Arzt, wird behandelt, und die Depression kann so verscheucht werden. Falls der Arzt oder der Patient diese Störung nicht hinterfragen und wenn der Patient nicht neugierig wird und sich nicht über die Krankheit »Depression« informiert, so bleibt bei ihm ein Stigma zurück, denn er fühlt sich schuldig und schämt sich seiner Krankheit, obwohl sie mit Vererbung und Biologie zu tun hat und somit seinem Zugriff entrückt ist. Nur die Kenntnis der Auslöser kann den Patienten zur Verhaltensänderung, zum Beispiel zu besserem Stressmanagement veranlassen. Dazu braucht es aber eine gewisse Vertrautheit mit der Krankheit und viele praktische Beispiele.
Die Loslösung vom Stigma ist möglich
Wenn die Betroffenen über ihre Vulnerabilität ohne Hemmungen reden können, fühlen sie eine große Erleichterung, eine Befreiung vom Stigma. Das neue Lebensgefühl kann durchaus demjenigen entsprechen, das bei der Heilung eines körperlichen Leidens auftritt. Die Tabuisierung ist auch weg, jedenfalls das Tabu, das man sich selbst auferlegt hat. Menschen, Betroffene oder auch Angehörige, denen es nicht möglich ist, über ihre Krankheit zu reden, sind unfrei und leiden darunter.
Wenn der Patient das »Loch« verlassen hat, fühlt er sich meist pudelwohl und will an dem Punkt, wo er abgestürzt ist, weitermachen – oft viel zu schnell, denn er will die verlorene Zeit wieder aufholen. Dabei täte er gut daran, darüber nachzudenken, was ihn in die Depression gestürzt hat und was er daraus lernen sollte. Wenn er dies tut, bekommt seine Krankheit einen Sinn. Verschiedene Punkte in seiner Lebensführung müssen angeschaut und verändert, ein »Outing« müsste geprüft werden. Dadurch, dass die Krankheit einen Sinn bekommt, wird der Patient von seinen Schuldgefühlen befreit, das Stigma verschwindet.
Darum müssen dringend Mittel und Wege gefunden werden, die Entstigmatisierung von psychischen Krankheiten in großem Maßstab voranzutreiben. Der Öffentlichkeit muss die Gleichgültigkeit oder gar die Angst diesen Krankheiten gegenüber genommen und die Tatsache vor Augen geführt werden, dass diese keine Schande sind und größtenteils geheilt werden können. Solche Informationskampagnen sind jedoch recht kostspielig. Das notwendige Engagement der Behörden ist nicht leicht zu wecken und die erforderlichen Mittel sind schwierig zu beschaffen. Gelingt es jedoch, mit nachhaltiger Anti-Stigma-Öffentlichkeitsarbeit die psychischen Krankheiten »salonfähig« zu machen, so werden die Ersparnisse durch sinkende Krankheitskosten und Invaliditätszahlungen die Kosten der Kampagnen bei weitem übertreffen.
Ignoranz in den Betrieben - Eine Umfrage in der Schweiz
Die schweizerische Selbsthilfeorganisation der Depressionsbetroffenen EQUILIBRIUM richtete 1998 eine Anfrage an 40 mittlere und große Unternehmen (Banken, Industrie und Handel) in einem Teil der Zentralschweiz, ihre Vertreter zu einem unverbindlichen Gespräch zu empfangen. Dabei hätte man Möglichkeiten erörtert, die mittlere und obere Führungsebene in einem zweistündigen Symposium über manisch-depressive Krankheiten aufzuklären, die einem Unternehmen Probleme mannigfacher Art bereiten können. Es kamen vier Arten von Antworten:
1. Wir haben keine freie Minute, so etwas bei uns anzuhören, weil wir praktisch Tag und Nacht unsere Energie für den Vertrieb unserer Produkte einsetzen müssen.
2. Wir haben die Probleme der psychischen Krankheiten bestens im Griff!
3. Wenn so etwas bei uns vorkommt, ist es unsere Personalabteilung, die das Problem zu unserer Zufriedenheit erledigt.
4. Wir haben keine Probleme mit psychischen Krankheiten.
90 Prozent der Firmen ignorierten den Aufruf, und die restlichen 10 Prozent hatten wenig Interesse daran, von einer Krankheit Kenntnis zu nehmen, die zur Volkskrankheit wird und bei schweren Depressionen in 15 Prozent der Fälle tödlich verläuft.
Die Abwehrhaltung diesem Thema gegenüber ist angesichts seiner Bedeutung unverständlich, aber andererseits muss man sich damit abfinden und annehmen, dass der Leidensdruck noch nicht groß
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