Der 1. Mord - Roman
nickte, doch gleichzeitig legte sich ein Schleier über ihre Augen.
»Weshalb ist sie aus San Francisco weggezogen?«
»Sie hat einen Superjob an Land gezogen. Sie muss geglaubt haben, endlich die Karriereleiter raufzukommen. Das hatten sich ihre Eltern immer gewünscht. Das ist so typisch Shaker Heights. Aber hören Sie, ich muss wirklich mein Flugzeug erwischen.«
»Wie stehen die Chancen, dass Kathy vor etwas weggelaufen ist?«
»Wenn man so ein Leben geführt hat wie wir beide, läuft man ständig vor irgendetwas weg.« Merrill Shortley zuckte mit den Schultern und sah mich gelangweilt an.
Merrill Shortleys Haltung, ihre Kälte, gefiel mir überhaupt nicht. Sie umgab sich mit der zynischen Aura einer schlimmen Vergangenheit. Und ich hegte den Verdacht, dass sie etwas zurückhielt. »Was haben Sie getan, Merrill? Den reichen Mann geheiratet, den König vom Silicon Valley?«
Sie schüttelte den Kopf und lächelte verkrampft. »Anlageberater.«
Ich beugte mich vor. »Sie erinnern sich also an niemand Besonderen? Jemand, mit dem sie eine Beziehung weitergeführt hat? Jemand, vor dem sie Angst hatte?«
»Was diese Jahre angeht, kann ich mich nur mit Mühe an irgendjemand Besonderen erinnern.«
»Sie war Ihre Freundin «, sagte ich. Meine Stimme wurde lauter. »Soll ich Ihnen zeigen, wie sie jetzt aussieht?«
Merrill stand auf, ging zur Frisierkommode und begann Toilettenartikel und Kosmetika in eine Ledertasche zu packen. Unvermittelt hielt sie inne, als sie sich im Spiegel sah. Dann schaute sie über die Schulter und fing meinen Blick auf.
»Vielleicht gab’s da einen Typen, mit dem Kathy was hatte. Älter. Hohes Tier. Promi. Sie hat gesagt, ich würde ihn kennen, aber sie hat mir seinen Namen nicht verraten. Ich glaube, sie hat ihn durch ihren Job kennen gelernt. Wenn ich mich recht erinnere, war er verheiratet. Ich weiß nicht, wie die Sache ausgegangen ist. Oder wer Schluss gemacht hat. Oder ob überhaupt je Schluss war .«
Mein Adrenalin begann zu fließen. »Wer ist er, Merrill? Er könnte Ihre Freundin ermordet haben.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Haben Sie den Mann je gesehen?«
Wieder Kopfschütteln.
Ich ließ nicht locker. »Sie sind die Einzige von damals, die sie zur Hochzeit eingeladen hat, und Sie haben ihn nie getroffen? Sie wissen nicht einmal seinen Namen?«
Sie schenkte mir ein kühles Lächeln. »Sie hat sich oft sehr bedeckt gehalten. Alles hat sie mir nicht erzählt. Pfadfinderehrenwort, Inspector. Ich nehme an, es ist jemand, der in der Öffentlichkeit stand.«
»Haben Sie sie in den vergangenen Jahren oft gesehen?«
Wieder schüttelte Merrill den Kopf. Sie war wirklich ein Miststück. Neureich im Silicon Valley.
»Ihr Vater hat mir gesagt, dass Kathy hin und wieder immer noch nach San Francisco gefahren ist. Geschäftlich.«
Merrill zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Hören Sie, ich muss wirklich los.«
Ich öffnete meine Tasche und holte ein Foto vom Tatort heraus. McBride hatte es mir gegeben. Man sah Kathy mit aufgerissenen Augen in einem blutigen Häufchen vor ihrem Mann kauern.
»Jemand, den sie kannte , hat das getan. Wollen Sie, dass man Sie am Flughafen festnimmt und als Hauptzeugin in Gewahrsam nimmt? Sie können den Anwalt Ihres Mannes anrufen, aber er wird zwei Tage brauchen, um Sie rauszuholen. Wie würde die Hightech-Meute auf diese Neuigkeit reagieren? Ich bin sicher, dass ich das in den Chronicle bekomme.«
Merrill wandte sich von mir ab. Ihr Kinn zitterte. »Ich weiß nicht, wer es war. Nur dass er älter war, verheiratet, irgendein Promi-Arsch. Abartig und nicht besonders zartfühlend. Kathy hat mir von gewissen Sexspielen erzählt, die er mit ihr ausgelebt hat. Aber sie hat immer verschwiegen, wer er war. Da hat sie total dichtgemacht. Den Rest müssen Sie allein rausfinden.«
»Und sie hat sich immer noch mit diesem Typen getroffen, richtig?« Langsam setzte ich die Puzzleteile zusammen. »Auch
nachdem sie nach Seattle gezogen war. Und auch nachdem sie ihren Mann kennen gelernt hatte.«
Sie lächelte mich zaghaft an. »Genau, Inspector. Bis zum Schluss.«
»Was heißt bis zum Schluss?«
Merrill Shortley griff zum Telefon. »Hier ist vier-null-zwei. Ich reise ab. Ich bin in Eile.«
Sie stand auf, schlang eine Prada-Tasche über die Schulter und nahm einen teuer aussehenden Regenmantel über den Arm. Dann sah sie mich an und sagte trocken: »Bis zum bitteren Ende.«
58
»Kein Wunder, dass die Braut nicht Weiß getragen hat«, sagte
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