Der 1. Mord - Roman
Leidenschaft hatte immer in einem Bett geendet.
Ich zuckte mit den Schultern und leeren Händen.
»Also, fang endlich an«, bohrte Claire nach. »Wenn ich mal meinen letzten Atemzug tue, werde ich nicht an die Diplome und Ehrungen denken, auch nicht an die Vorträge, die ich bei Konferenzen gehalten habe. Man hat im Leben nur wenige Gelegenheiten, mal die Sau rauszulassen, und die sollte man auf keinen Fall verpassen.«
Ein Hauch von Reue durchfuhr mich. In diesem Moment wusste ich nicht, was ich mehr wollte: einen Platz auf dieser Liste - oder den gottverdammten Namen von Rotbart. Wahrscheinlich beides.
65
Mehrere Stunden später saß ich in meinem Krankenkittel in der hämatologischen Klinik.
»Dr. Medved möchte mit Ihnen sprechen, ehe wir anfangen«, sagte Sara, meine Transfusionsschwester.
Mich beschlich ein ungutes Gefühl, als ich sie mit der Kanüle und den Schläuchen für meine Behandlung hantieren sah. Ehrlich gesagt, hatte ich mich gut gefühlt. Abgesehen von dem Zwischenfall in der vorigen Woche auf der Damentoilette keine starken Schmerzen oder Übelkeit.
Dr. Medved kam mit einem großen Umschlag unterm Arm herein. Sein Gesicht war freundlich, aber ausdruckslos.
Ich lächelte verkrampft. »Nur gute Neuigkeiten?«
Er setzte sich mir gegenüber auf eine Kommode. »Wie fühlen Sie sich, Lindsay?«
»Nicht so schlecht wie bei meinem ersten Besuch bei Ihnen.«
»Erschöpft?«
»Nur ein bisschen. So wie am Ende eines Tages.«
»Plötzliche Übelkeit? Schwindel?«
Ich gab zu, dass ich mich zweimal hatte übergeben müssen. Er notierte sich das auf dem Krankenblatt und blätterte in meiner Akte. »Ich sehe, wir haben bis jetzt vier Behandlungen mit komprimierten roten Blutkörperchen durchgeführt…«
Mein Herz raste immer schneller, je länger er brauchte. Schließlich legte er die Akte weg und sah mich an.
»Ich fürchte, Ihre Erythrozytenzahl hat sich weiter verringert, Lindsay. Hier können Sie den Trend sehen.«
Medved reichte mir ein Blatt. Er beugte sich vor und holte einen Stift aus der Brusttasche. Auf dem Blatt sah man eine Computergrafik. Er zog mit dem Stift die Linie nach. Die Linie führte nach unten. Scheiße.
Ich fühlte, wie mir die Enttäuschung alle Luft aus der Lunge presste. »Es wird schlimmer«, sagte ich.
»Ehrlich gesagt, ist das nicht der Trend, den wir uns erhofft hatten«, sagte Medved.
Ich hatte verdrängt, dass es so kommen könnte, hatte mich in den Fall vergraben, weil ich mir sicher gewesen war, dass die Werte sich verbessern würden. Diese Hoffnung basierte auf der Überzeugung, dass ich zu jung und zu energiegeladen sei, um ernstlich krank zu sein. Ich hatte eine wichtige Arbeit und ein Leben, das ich leben wollte.
Ich würde sterben, nicht wahr? O Gott.
»Und was geschieht nun?«, fragte ich. Ich konnte nur noch flüstern.
»Ich möchte mit den Behandlungen weitermachen«, antwortete Medved. »Sie sogar steigern. Manchmal dauert es eine Weile, ehe so eine Therapie greift.«
»Superhoher Test, ja?« Ich quälte mir ein Lachen ab.
Er nickte. »Von heute an möchte ich, dass Sie dreimal die Woche kommen. Und ich werde die Dosis um dreißig Prozent erhöhen.« Er rutschte von der Kommode. »Im Augenblick besteht kein akuter Anlass zur Beunruhigung«, sagte er mit etwas aufmunternderem Tonfall. »Sie können weiterarbeiten - wenn Sie sich dazu imstande fühlen.«
»Ich muss arbeiten«, erklärte ich Medved.
66
Benommen fuhr ich nach Hause. Eben bemühte ich mich noch darum, diesen verfluchten Fall zu lösen, im nächsten Moment kämpfte ich um mein Leben.
Ich wollte einen Namen . Jetzt noch mehr als zuvor. Und ich wollte mein Leben zurückhaben. Ich wollte alles: Glück, Erfolg,
jemanden, mit dem ich das alles teilen konnte, und ein Kind. Und jetzt, nachdem ich Chris Raleigh kennen gelernt hatte, wusste ich, dass es möglich war, das alles zu bekommen. Wenn ich nur weiter durchhielt. Wenn ich die guten Zellen mit meiner Willenskraft in meinen Körper zwingen konnte.
Ich fuhr in meine Wohnung. Sweet Martha war außer Rand und Band, deshalb machte ich einen kurzen Spaziergang mit ihr. Danach lungerte ich missmutig herum und war hin- und hergerissen. Ich wollte mich gegen diesen Schlamassel zur Wehr setzen, gleich darauf jedoch übermannte mich Traurigkeit, dass ich das nicht konnte. Ich erwog, mir etwas zu kochen, vielleicht würde mich das ruhiger machen.
Also holte ich eine Zwiebel heraus und schnitt zwei grobe Scheiben ab. Dann wurde mir klar,
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