Der 1. Mord - Roman
den Tisch.
»Alle haben immer Mitleid mit den Opfern«, sagte Jenks. »Aber eigentlich kommt es doch darauf an, was im Kopf des Mörders vor sich geht. Die meisten Menschen halten so etwas einfach für Racheakte. Die krankhafteste Art der Rache. Oder Unterwerfung, wie bei den meisten Vergewaltigungen. Aber ich bin mir da nicht so sicher.«
»Wie lautet denn Ihre Theorie, Mr. Jenks?«, fragte Chris. Er sagte es, als sei er ein Fan des Schriftstellers.
Jenks hielt eine Karaffe mit Eistee hoch. »Etwas zu trinken? Ich weiß, es ist heiß draußen, obwohl ich mich seit acht Uhr in meinem Arbeitszimmer vergraben habe.«
Wir schüttelten die Köpfe. Ich holte einen Aktenordner aus meiner Tasche und legte ihn auf den Schoß. Ich musste an Roths Warnung denken: »Mit Samthandschuhen. Jenks ist ein VIP. Sie nicht.«
Nicholas Jenks schenkte sich ein Glas Eistee ein und fuhr fort. »Aufgrund dessen, was ich gelesen habe, scheinen diese Morde eine Art Vergewaltigung zu sein. Vergewaltigung der Unschuld. Der Mörder begeht seine Tat auf eine Art, die niemand vergeben kann , beim heiligsten Ereignis in unserer Gesellschaft. Für mich bedeuten diese Morde die ultimative Reinigung.«
Ich ignorierte sein dämliches Geschwätz. »Mr. Jenks, leider
sind wir nicht gekommen, um ihren beruflichen Rat einzuholen. Ich habe ein paar Fragen in Zusammenhang mit diesen Morden, die ich Ihnen gern stellen würde.«
Jenks lehnte sich zurück und sah mich verblüfft an. »Das klingt ja schrecklich offiziell.«
»Das hängt von Ihnen ab«, sagte ich und holte einen tragbaren Kassettenrekorder aus der Tasche. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich das Gerät einschalte?«
Er betrachtete mich misstrauisch, wedelte jedoch mit der Hand, als wäre es ihm völlig egal.
»Gut, Mr. Jenks, ich möchte gern mit diesen Morden beginnen. Wissen Sie irgendetwas über diese Verbrechen, abgesehen von dem, was Sie in den Zeitungen gelesen haben?«
»Wissen?« Jenks machte eine Pause und tat so, als dächte er nach. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein, überhaupt nichts.«
»Sie haben gelesen, dass es einen dritten Doppelmord gegeben hat? Vorige Woche. In Cleveland.«
»Das habe ich gesehen. Ich lese täglich Zeitung.«
»Und haben Sie auch gelesen, wer die Opfer waren?«
»Sie kamen aus Seattle, richtig? Wenn ich mich recht erinnere, war er oder sie eine Art Konzert-Promoter.«
»Ja, der Bräutigam. James Voskuhl. Die Braut hat eine Zeit lang hier in San Francisco gelebt. Ihr Mädchenname war Kathy Kogut. Sagen diese Namen Ihnen irgendetwas?«
»Nein, sollten sie?«
»Also sind Sie keinem der beiden je begegnet? Ihr einziges Interesse an diesem Fall war lediglich - wie bei allen anderen - morbide Neugier.«
Er heftete den Blick auf mich. »Das ist richtig. Morbide Neugier ist mein Geschäft.«
Ich öffnete die Akte und holte das oberste Foto heraus. Er spielte mit uns, so wie er die ganze Zeit mit uns gespielt hatte, indem er Hinweise zurückgelassen hatte, die in eine Sackgasse führten.
Ich schob das Foto über den Tisch. »Das hier könnte Ihre Erinnerung auffrischen«, sagte ich. »Das ist Kathy Kogut, die Braut, die in Cleveland ermordet wurde. Ich glaube, der Mann neben ihr sind Sie .«
76
Langsam hob Rotbart das Foto auf und betrachtete es. »Ja, das bin ich«, erklärte er. »Aber die Dame erkenne ich nicht wieder, obwohl sie sehr schön ist. Darf ich fragen, woher Sie das Foto haben?«
»Die Premiere von Fadenkreuz in San Francisco.«
»Ah.« Er seufzte, als würde ihm jetzt etwas klar.
Ich sah, wie sich die Rädchen in seinem Gehirn fieberhaft drehten, als er nach der richtigen Antwort suchte. Er war tatsächlich gescheit und ein ziemlich guter Schauspieler.
»Bei solchen Anlässen treffe ich eine Menge Leute. Deshalb versuche ich auch, sie zu vermeiden. Sie sagen, das sei die junge Frau, die in Cleveland ermordet wurde?«
»Wir hatten gehofft, sie sei jemand, an den Sie sich erinnern würden«, antwortete ich.
Jenks schüttelte den Kopf. »Zu viele Fans, ich habe keine große Lust, sie kennen zu lernen, nicht mal die hübschen, Inspector.«
»Der Preis des Ruhmes, schätze ich.« Ich nahm das Foto wieder an mich, hielt es einen Moment lang hoch und legte es ihm dann erneut vor.
»Trotzdem muss ich noch mal auf diese Verehrerin zurückkommen. Ich bin neugierig, warum sie nicht unter all diesen anderen Fans für Sie in besonderer Erinnerung geblieben ist.« Ich
holte die Kopie einer Telefonrechnung aus meiner Akte und reichte
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