Der 1. Mord - Roman
ergebenen Seufzer aus und sah mir in die Augen.
»Falls Sie wegen Chessy hier sind - ich hätte sie warnen können,
wenn er mich nicht auf so widerliche Weise abgeschoben hätte. Wie hat er gleich gesagt: ›Durch sie schreibe ich, Jo. Sie inspiriert mich.‹ Haben Sie je seine Bücher gelesen, Inspector? Sie brauchte ihn nicht zu inspirieren, indem sie sich abschuftete, während er ›sich selbst fand‹, richtig? Sie musste nicht seine Entwürfe lesen, seine Wutausbrüche ertragen, wenn er abgelehnt wurde, und ihm jede Nacht sagen, wie sehr sie an ihn glaubte. Wissen Sie, wo er sie kennen gelernt hat, Inspector? In der Maske bei Entertainment Tonight .«
»Was ich Sie eigentlich fragen möchte, Ms. Wade, ist: Wie gewalttätig ist Nicholas Jenks?«
Es folgte eine Pause. Sie senkte den Blick. Als sie wieder aufschaute, waren ihre Augen feucht, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
»Nach all den Jahren kommen Sie her und zwingen mich, das alles noch mal durchzuleben. Was soll ich Ihnen denn sagen? Dass seine Mutter ihn nicht geliebt hat? Dass er ein abartiger, gefährlicher Mann ist? Das Leben mit Nick… ist so hart. Er hält etwas in sich zurück, und Gott allein weiß, wann es rauskommt. Ich habe mich oft gefragt, weshalb? Was habe ich verbrochen? Ich war doch noch so jung.« Tränen standen in ihren Augen.
»Es tut mir Leid.« Ich hatte wirklich Mitleid mit ihr. Mit beiden Mrs. Jenks. Ich konnte es mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie es war, aufzuwachen und festzustellen, mit jemandem wie ihm verheiratet zu sein.
»Ich muss diese Fragen stellen«, sagte ich. »Wie groß sind die Chancen, dass sich diese Dinge bei Ihrem Ex-Mann verstärkt haben? Ernster geworden sind?«
Sie schaute mich wie betäubt an. »Ist etwas mit Chessy, Inspector?«
» Chessy geht’s gut«, versicherte ich ihr, doch ich wollte ihr klar machen, dass es andere gäbe, bei denen das nicht der Fall war.
Sie wartete kurz; als ich nicht weitersprach, lachte sie verbittert.
»Dann reden wir wohl über etwas viel Wichtigeres als ein geklautes Buch?«
Ich nickte. Dann sagte ich, von Frau zu Frau: »Ich muss Ihnen eine überaus wichtige Frage stellen, Ms. Wade.«
79
Die Frage, die ich Joanne Wade stellte, lautete: »Ist Nicholas Jenks fähig, einen Mord zu begehen?«
Den Grund durfte ich ihr nicht nennen, doch das spielte keine Rolle. Joanna begriff sofort. Ich sah den Schock in ihren Augen. Nachdem sie sich beruhigt hatte, dachte sie lange nach.
Schließlich schaute sie mich an und fragte noch einmal: »Haben Sie seine Bücher gelesen, Inspector?«
»Eins. Tödlicher Charme . Knallhart.«
»Er lebt mit diesen Charakteren, verstehen Sie. Ich glaube, manchmal vergisst er, dass er damit nur seinen Lebensunterhalt verdient.«
Ich sah den selbstkritischen Ausdruck in ihren Augen und beugte mich näher zu ihr. »Ich will Ihnen nicht wehtun, aber ich muss es wissen.«
»Könnte er töten? Könnte er einen Mord begehen? Ich weiß, dass er imstande ist, einen anderen Menschen völlig zu erniedrigen. Das ist doch Mord, oder? Er ist das, was man einen sexuellen Sadisten nennt. Sein Vater hat seine Mutter im Wandschrank des Schlafzimmers verprügelt, als Aphrodisiakum. Er stürzt sich auf jede Schwäche. Ja, der berühmte Nicholas Jenks hat mich erniedrigt. Aber jetzt sage ich Ihnen, was das Schlimmste ist, das Allerschlimmste. Er hat mich verlassen, Inspector. Nicht ich ihn.«
Joanna lehnte sich zurück und schenkte mir eine Art mitleidiges Lächeln. »Ich habe Chessy ein paar Mal gesehen. Bei Wohltätigkeitsveranstaltungen. Wir haben uns sogar unterhalten. Er hat sich nicht geändert. Ihr ist klar, dass ich genau weiß, was sie durchmacht, aber das ist etwas, worüber wir nicht sprechen können. Ich sehe die Angst. Ich weiß, wie es ist. Wenn sie in den Spiegel schaut, erkennt sie die Person nicht mehr, die sie früher war.«
Mein Blut brodelte. Durch den harten Firnis erhaschte ich einen flüchtigen Blick auf die Frau, die Joanna Wade gewesen war: jung, nach Halt suchend, verwirrt. Ich berührte ihre Hand. Ich hatte meine Antwort. Dann schloss ich meinen Notizblock und wollte gerade aufstehen, als die Frau mir gegenüber mich überraschte.
»Ich habe gleich gedacht, dass er es war. Ich habe sofort an Nick gedacht, als ich von diesen schrecklichen Verbrechen gehört habe. Ich habe mich an sein Buch erinnert und mir gesagt: ›Er könnte es sein.‹«
»Welches Buch?«
»Das erste, das er geschrieben hat: Immer eine
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