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Der 13. Brief

Titel: Der 13. Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Klassen
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spät auffiel, dass er mit mir sprach.
    »Oh, klar!« Ich kramte das Heft aus meiner Tasche. Ich war ja vorbereitet.
    »Es geht um Fausts Beziehung zu Gretchen und den Einfluss auf den Handlungsverlauf«, fuhr er fort. »Carmen, könntest du uns vielleicht deine Meinung dazu mitteilen?«
    Ich packte einen Block und meinen angenagten Federhalter aus. Den Füller besaß ich schon seit der fünften Klasse. Es war eines dieser dicken, stabilen Schreibgeräte der Firma Lamy. Die scharfkantige Feder hatte sich im Laufe der Jahre meiner Handschrift angepasst und zog die waagerechten Linien schön in die Breite. Wer hätte gedacht, dass ich das Ding so schnell wieder brauchen würde?
    Ich schob mir einen Kaugummi in den Mund und checkte die Lage.
    Lena Staschek saß weit von mir entfernt. Zwischen uns standen drei Bankreihen, so konnte ich kein Gespräch mit ihr anfangen. Die Mollige mit den Kringellöckchen neben ihr war definitiv eine ihrer besten Freundinnen.
    Aber wo war die Dritte im Bunde?
    Ich registrierte, dass sich ein paar Schüler in meine Richtung umgedreht hatten.
    Warum starrten die?
    Stimmte vielleicht doch irgendwas mit meinem Outfit nicht?
    Mir fiel auf, wie still es außerdem geworden war.
    Wenn ich das richtig mitbekommen hatte, hatte eben jemand auf die Frage nach Gretchen mit: »Ist mir doch scheißegal, wer da mit wem bumst!«, geantwortet. Jetzt sah sich Dittmer suchend um, in der Hoffnung, irgendjemand würde sich gnädigerweise melden.
    Neben mir wandte auch Achselschweiß-Jendrick den Kopf nach hinten und erst da begriff ich, dass mich gar keiner ansah.
    Verblüfft drehte ich mich um.
    Das Mädchen hinter mir hatte beide Knie gegen die Tischkante gestützt. Dass man dabei unter ihren grellgrünen Minirock sehen konnte, war möglicherweise beabsichtigt.
    K. Bode – Zweifel ausgeschlossen!
    Ich musste beinahe lachen, weil ich das Gefühl hatte, sie aus Danners Berichten schon gut zu kennen, und sie erfüllte meine Erwartungen voll und ganz. Sie hielt die Hand deutlich erhoben und ließ Dittmer nicht aus den Augen.
    Da sich niemand außer ihr meldete, konnte er sie unmöglich länger ignorieren.
    Er seufzte. »Nun gut, Karoline. Was kannst du uns dazu sagen?«
    »Faust war ein notgeiler Greis, der seine verschrumpelten Finger nicht von kleinen Mädchen lassen konnte. Und weil der Sack nicht bei Gretchen landen konnte, hat er Mephisto nachhelfen lassen.«
    Das klang nicht nach einer allgemeinen Neigung zu ausdrucksstarken Metaphern, sondern eher nach einem offenen Gefecht!
    Dittmer seufzte wieder: »Schön, deine Meinung einmal mehr zu hören, Karoline. Aber wir sollten nicht ganz außer Acht lassen, dass Faust wirklich glaubt, Gretchen zu lieben! Hat vielleicht noch jemand etwas Produktives beizutragen?« Ich drehte mich wieder nach vorn, um Karoline nicht zu auffällig anzustarren.
    Im weiteren Verlauf der Stunde begriff ich, dass Dittmer das Durchsetzungsvermögen eines Milchbrötchens besaß und Humor wohl für eine Art Ausschlag hielt. Sein Unterricht war trocken wie Knäckebrot und krümelte genauso beim Kauen. Beinahe sofort fing ich an, die Minuten zu zählen. Und als ich schon ziemlich lange gezählt hatte, wurde mir klar, dass wir eine Doppelstunde hatten.
    Nicht zu fassen! Wie war ich auf die Idee gekommen, freiwillig noch mal eine Schule zu besuchen?
    Ich konnte nur hoffen, dass es nicht mit einer Doppelstunde Französisch weiterging.

16.
    Als der Pausengong die Stunde endlich beendete, hatte Dittmer die Schüler mit seinem Gemurmel eingeschläfert. Nur langsam erhoben sie sich von ihren Stühlen.
    Ich kramte in meinem Rucksack nach dem Pausenbrot, das Molle mir gemacht hatte.
    Als ich die Riesenstulle auswickelte, musste ich lächeln. Zwei dicke Scheiben Graubrot, belegt mit allem, was draufgepasst hatte: Butter, Käse, Tomate, Ei und ein Salatblatt.
    Wie seltsam, dass mir jemand, den ich gerade drei Tage kannte, ein liebevolleres Schulbrot schmierte als meine Mutter in den letzten zwölf Jahren.
    Meine Mutter war eigentlich immer auf irgendeinem Fitnesstrip irgendeiner Hollywood-Berühmtheit gewesen. Erst war es Jane Fonda, dann irgendeine Fönfrisur aus dem Denver-Clan, es folgten Claudia Schiffer und schließlich sogar dem Dieter seine Naddel. Die anderen Namen hatte ich vergessen, denn Tatsache war, dass meine Mutter schon länger Diät machte, als ich lebte. Ich war nicht nur die Einzige in der Grundschule gewesen, die Jane Fonda kannte, ich hatte sogar alle Übungen von ihrem Video

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