Der 13. Brief
kann ja nicht alles gewesen sein.«
Ich tat, als würde ich kurz nachdenken, obwohl ich mir die Antworten natürlich schon gestern Abend überlegt hatte. »Tanzen, Pink und Wir sind Helden, Prosecco und Cab, Spaghetti, bis ich kotzen muss, und Jungs, die aussehen wie Orlando Bloom oder – ähm …«
»Ähm?«, wollte Lena es genau wissen.
»Bully?«
Franzi klatschte in die Hände.
»Wie oft hast du den Schuh des Manitu gesehen?«, fragte Lena.
»Zwölf Mal«, grinste ich. »Und ich werde ihn mir natürlich noch zwölf Mal ansehen.«
Karo hielt mir die Hand hin und ich schlug ein.
Die drei wechselten einen raschen Blick und waren sich offensichtlich einig.
»Samstag wäre die nächste Gelegenheit. Da machen wir einen Schuh-des-Manitu-Abend. Bei mir«, lud mich Lena prompt ein.
»Da bin ich dabei!« Das war mehr, als ich zu hoffen gewagt hatte.
In dem Moment mahnte auch schon der Gong zur nächsten Stunde.
Franzi stöhnte: »Geschichte. Weckt mich zur Pause.«
Ich atmete auf, weil mir zumindest eine Doppelstunde Französisch erspart blieb.
Wieder in der Klasse winkte ich Jendrick und seinen Pickeln zum Abschied zu und verzog mich mit meinem Rucksack eine Reihe weiter nach hinten.
»Wem verdankst du denn die letzte Reihe? Dittmer?« Ich ging davon aus, dass Karo nicht freiwillig alleine hinten saß.
»Allen anderen auch.«
»Was?«
»Ich muss in allen Stunden hinten sitzen. Die Kreidefresser halten lieber Abstand zu mir – das beruht auf Gegenseitigkeit.«
»Tatsächlich? Und ich dachte, das mit dir und Dittmer wäre was Persönliches.«
»Nein«, klärte mich Karo auf, »ich hasse sie alle gleich.«
Der Tisch war alt und bekritzelt und Karo begann, in Schönschrift FICK DICH DITTMER hinzuzufügen.
Der kahlköpfige Geschichtslehrer, der das Rentenalter eigentlich schon vor gut einem Jahrzehnt erreicht haben musste, warf ihr einen strengen Blick zu. Eine dicke Brille vergrößerte seine Augen so stark, dass sie das ganze Glas einzunehmen schienen. Aber der Blick war auch schon alles, was der Greis gegen Karos Beschädigung von öffentlichem Eigentum zu unternehmen gedachte.
Ich beobachtete eine Weile die anderen Schüler.
Die Mädels in der ersten Reihe tratschten nicht gerade leise, ein paar Jungs spielten unterm Tisch Karten und Jendrick, die Schnarchnase, war höchstwahrscheinlich eingeschlafen.
Der Uralte ignorierte das alles konsequent, die Schüler schienen Narrenfreiheit zu haben …
Und plötzlich begriff ich: Selbst wenn sich jemand eine Zigarette ansteckte, würde der Lehrer wohl nicht wagen, zu tadeln. Die versuchten alle noch immer, mit einer Katastrophe fertig zu werden. Sie versuchten, normal weiterzumachen, obwohl es normal nicht mehr gab. Denn normal wäre gewesen, wenn Schneewittchen noch irgendwo gesessen hätte.
Mir wurde heiß, als mir einfiel, wo Eva Ahrends Platz gewesen sein musste! Ein paar Sekunden saß ich stocksteif auf meinem Stuhl, dann zwang ich mich, mich zurückzulehnen.
Schweigend verfolgte ich weiter das Theater, das sie Unterricht nannten.
Auf Geschichte folgte eine ebenso sinnfreie Mathestunde bei einem dünnen Männlein in einem übergroßen, grauen Jackett. Um Blickkontakt mit den Schülern zu vermeiden, rechnete der Zwerg mit dem Rücken zur Klasse Kurvendiskussionen an der Tafel vor.
Als es zur zweiten Pause läutete, ging ich gleich mit Karo, Franzi und Lena hinaus.
Danner hatte Pausenaufsicht. Zusammen mit einer Lehrerin, deren langes Pferdegesicht von einer schweren, graublonden Mähne halb verdeckt wurde, stand er im Eingang. Die Hände in den Taschen unterhielt er sich mit Blondie. Sein Blick streifte mich kurz und er tat, als wäre ich ihm nicht aufgefallen.
Nur wir beide wussten, was wir hier in Wirklichkeit machten. Als ich einen Augenblick darüber nachdachte, musste ich zugeben, dass mir dieser Gedanke gefiel.
Ich hatte Danner zu lange angesehen, ich merkte, dass Lenas Blick meinem folgte.
Kennt Lena ihn denn?, schoss es mir durch den Kopf. Klar! Immerhin ist er der beste Kumpel ihres Vaters! Lena wusste natürlich ebenfalls, was hier lief. Warum hatte ich da nicht eher dran gedacht?
»Wer sind die beiden?«, griff ich an, bevor ich mich verteidigen musste, und deutete mit dem Kopf zu Danner und der Lehrerin hinüber.
»Lehnert, Religion und Politik«, klärte mich Franzi auf. »Und der Typ daneben ist unser neuer Sportlehrer, Martens!«
»Das ist echt ein Arsch, der hält den Laden hier für ’ne Kaserne«, knurrte Karo.
Konnte
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