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Der 13. Brief

Titel: Der 13. Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Klassen
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verschwand.
    »Wer war das denn?«, formte ich meine Frage mit den Lippen.
    Lena deutete mit einer Kopfbewegung auf ein leuchtendes Schild, das den Weg zu den Toiletten wies.
    Ich nickte.
    Als die Tür hinter uns zufiel, konnten wir tatsächlich in einer fast normalen Lautstärke sprechen.
    »War das dein Ex, oder was?«
    »Der? Quatsch! Das ist der Sohn der Frau meines Vaters. Ignorier ihn einfach.«
    Ich versuchte, das zu ordnen. »Dein Bruder also?«
    »Das wär ja die Hölle! Nein, er ist der Sohn der Frau meines Vaters! Mein Vater ist ein echtes Arschloch, weißt du?«
    Nein, bis jetzt fand ich ihn eigentlich ganz in Ordnung.
    »Er hat meine Mutter und mich sitzen lassen, als ich elf war. Hatte eine andere. Kein Jahr später hat er wieder geheiratet – und nicht mal die, mit der er meine Mutter beschissen hat! Die Neue und ihre beiden Kinder sind sofort bei ihm eingezogen. Marc ist der Ältere, sein Bruder Christoph geht in die Neunte.«
    Ich war sprachlos.
    Wie dämlich war ich eigentlich? Wieso hatte ich Staschek nicht genauer nach seiner Familie gefragt? So passte alles zusammen!
    Lena lebte nicht bei ihm und offensichtlich war sie vor allem wegen der Scheidung stinksauer auf ihn! Kein Wunder, dass Staschek so wenig über sie wusste. Kein Wunder, dass er einen Privatdetektiv anheuern musste, um etwas über sie zu erfahren. Sie selbst würde sich vermutlich eher I love Mum auf den Arsch tätowieren lassen, als mit ihm zu sprechen.
    Ehrlich verblüfft ließ ich mich mit dem Rücken gegen die geflieste Wand kippen: »Das ist ja ein Hammer!«
    »Na ja …«
    Sie wich meinem wütenden Blick aus, obwohl ich ja nicht sie umbringen wollte, sondern ihren Erzeuger, den Mistkerl!
    »… eigentlich ist mein Vater nicht so schlimm, wie es klingt. Wir sehen uns ziemlich oft, am Wochenende bin ich meistens bei ihm und Verena – das ist seine Neue. Er hat immer noch ein schlechtes Gewissen, obwohl die Scheidung fünf Jahre her ist. Er verwöhnt mich ziemlich und will nicht kapieren, dass er das nicht wiedergutmachen kann!« Sie warf mir einen hilflosen Original-Staschek-Dackelblick zu.
    Eigentlich fiel mir nicht ein einziger vernünftiger Grund ein, aus dem dieser kommunikationsunfähige Scheißkerl meine Hilfe verdient hätte.
    Aber ich hatte eben ein weiches Herz. Und irgendwer musste ja versuchen, die Sache zurechtzubiegen, wenn Staschek selbst dazu nicht in der Lage war. Ich vergewisserte mich, dass alle sechs Klotüren offen standen.
    »Mein Vater …«, begann ich und merkte, dass meine Stimme heiser wurde, »… mein Vater hat mich verprügelt, seit ich denken kann.«
    Lena erstarrte.
    »Mit sechs lag ich das erste Mal im Krankenhaus, Schädelbasisbruch. Aber ich glaube, das war nur ein Versehen. Richtig schlimm wurde es, als ich es mir nicht mehr gefallen ließ. Mit zehn waren es drei Rippen, mit zwölf der rechte Arm, mit dreizehn noch zwei Rippen und mit fünfzehn der Kiefer. Die Stahlplatte ist noch drin.« Automatisch wanderten meine Finger über die blasse Narbe an meinem Kinn. »Die Gehirnerschütterungen habe ich nicht gezählt.«
    Lena suchte nach Worten.
    Ich betrachtete interessiert die Fliesen unter meinen Füßen.
    »Deshalb seid ihr aus Hannover weggegangen, nicht wahr?«, flüsterte Lena plötzlich. »Deine Mutter hatte endlich den Mut, ihn zu verlassen, oder?«
    Bevor ich es verhindern konnte, hatte ich sie angesehen. Ein heißer Schmerz drückte mir die Kehle zu, presste meinen Brustkorb zusammen und ließ mich nicht atmen.
    »Ja«, krächzte ich schließlich. »Ja, es hat lange gedauert, aber sie hat es geschafft.«
    Wie hatte Lena mir so nah kommen können?
    Wann war das passiert?
    Sie nahm mich in den Arm und strich mir tröstend über den Rücken. Dabei hätte doch ich diejenige sein sollen, die tröstete.
    Eine Sekunde lang gab ich dem Gefühl nach und hielt still.
    Vielleicht hätte sie wirklich meine Freundin werden können – wenn ich sie nicht von der ersten Sekunde an belogen hätte.
    Hastig richtete ich mich auf und befreite mich aus ihrem Griff. »Schon gut!«
    Ich drehte mich zum Spiegel, um die unter meinen Augen verlaufene Wimperntusche wegzuwischen.
    »Ich wollte damit nur sagen, dass keine Scheidung auch Scheiße sein kann.«
    Lena nickte nachdenklich.

25.
    Nach dem Gespräch auf dem Klo wollte keine richtige Stimmung mehr aufkommen. Gegen halb elf rief Lena Staschek an, damit er uns abholte.
    Staschek musterte kurz meinen Aufzug, ließ mich dann vorn einsteigen und die drei

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