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Der 13. Brief

Titel: Der 13. Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Klassen
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versenkte die Hände in den Taschen und ging zurück in die Garage.
    Ich brauchte etwas länger als er, um die Treppe zu Jendricks Zimmer hinaufzusteigen. Mit gesenktem Blick folgte ich Danner in den Raum und versuchte, Jendricks in der Luft hängenden Füße zu ignorieren, als ich daran vorbeiging.
    »Nichts anfassen!«
    »Schon klar.«
    Er selbst nahm Evas Bild vom Nachtschrank.
    »Eine Handyaufnahme, die er sich selbst ausgedruckt hat«, vermutete ich. Die Bildqualität war mehr als mies.
    Danner stellte das Foto zurück. Vorsichtig setzte ich die Füße zwischen die Pappkartons auf dem Boden. Der Kleiderschrank stand offen, alle Schubladen waren herausgezogen, die Wäsche lag durchwühlt in den Fächern.
    Kein Wunder, dass Jendrick nie ein sauberes oder gar gebügeltes Shirt angehabt hatte.
    Ich erinnerte mich, dass ich selbst daran gedacht hatte, ihn zu erwürgen. Dass ich mir ausgemalt hatte, seinen dünnen Hals mit den Fingern zu umschließen und ihm seinen vorstehenden Kehlkopf knirschend gegen die Wirbelsäule zu drücken.
    Erschrocken sah ich nun doch zu dem Toten hoch. Sah, dass das Kabel seinen Hals genau auf Kehlkopfhöhe zerquetscht hatte. Spürte, wie meine Beine wieder zu zittern begannen. Und auch Karo hatte unter Zeugen gedroht, ihn umzubringen, fiel mir ein.
    Offensichtlich gab es einige Leute, die Jendrick Haberland nicht hatten ausstehen können, während ich noch niemanden kennengelernt hatte, der sich als sein Freund bezeichnen ließ.
    Konnte es sein, dass das hier gar kein Selbstmord war? Dass irgendjemand der Versuchung, Jendrick den Kehlkopf zu zerquetschen, einfach nicht hatte widerstehen können?
    Wer käme infrage – mal abgesehen von Karo und mir?
    Denn Karo konnte ich doch wohl ausschließen. Oder?
    Ich dachte an unseren Besuch bei Evas Vater.
    Was, wenn wir ihn auf Jendrick gebracht hatten? Wenn Ahrend hergefahren war? Den Spanner zur Rede gestellt hatte? Es konnte einen Streit gegeben haben und Ahrend hatte Jendrick umgebracht.
    »Lila.«
    Ich wandte meinen Blick von Jendricks Leiche.
    Danner stand am Schreibtisch. Oben auf einem Wäschehaufen lag ein Zettel.
    Kariertes Papier, wie aus einem Matheheft gerissen. Ein paar krakelige Sätze waren darauf zu erkennen, die Handschrift ungeübt, schwunglos, fast unleserlich. Die Anfangsbuchstaben übergroß im Verhältnis zum Rest der Wörter.
    Wegen mir hat sich Eva umgebracht, ich allein bin schuld! Sie hat mir gesagt, ich soll sie in Ruhe lassen, aber ich habe weitergemacht. Ich kann damit nicht länger leben, deshalb habe ich mich für diesen Ausweg entschieden.
Jendrick
    »Mist«, sagte ich.
    »Sag mal, bist du total irre?«
    Danner hob die Hände.
    »Mal abgesehen davon, dass du hier vor der Spusi rumschnüffelst«, schnauzte Staschek, »aber wie kannst du sie mit reinnehmen?«
    Sie war in dem Fall ich.
    »Sofort raus hier! Alle beide!« Staschek packte mich an den Schultern und schob mich zur Tür.
    »Na schön!«, bellte er weiter, als wir seinen Kombi erreichten. Er parkte neben der Schrottschüssel mitten auf der Straße. »Was zum Teufel habt ihr hier verloren?«
    »Haberland war nicht in der Schule«, erklärte ich.
    »Und da seid ihr hergefahren, um ihm gute Besserung zu wünschen?«
    »Du weißt genau, warum wir hier waren«, knurrte Danner.
    »Weil du ihm die Fresse polieren wolltest, damit er dir mehr erzählt als mir, nehme ich an. Und weil er praktischerweise tot am Deckenbalken hing, nutzt du die Gelegenheit, um seine Sachen zu durchsuchen. Und Lila lässt du unter seiner Leiche durchspazieren. Hast du den Verstand verloren?«
    Ich kletterte wieder auf die Motorhaube, weil meine Beine noch immer wackelten wie nach tausend Strafmetern im Sportunterricht.
    Ein Mercedes-Van mit einem blitzenden Blaulicht auf dem Dach hielt hinter Stascheks Kombi. Dahinter ein Notarztwagen. Zwei Uniformierte und zwei Männer in Zivil stiegen aus dem Van. Der Notarzt nahm einen Blechkoffer vom Beifahrersitz.
    Auf einen Wink von Staschek begannen die Uniformierten, die Einfahrt abzusperren. Die beiden anderen Männer luden ein paar Taschen aus.
    Staschek führte sie zusammen mit dem Arzt in die Garage.
    »Den Rest des Tages können wir wohl auf dem Revier verbringen und unsere Aussage wiederholen«, vermutete Danner, zückte sein Handy und sagte den Sportunterricht am Nachmittag ab.

31.
    »Was ist denn mit dir los?«, lautete Molles erste Frage, als ich abends hinter der Theke Biergläser abwusch. »Du siehst aus, als würdest du gleich in die

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