Der 13. Brief
oder Laminat ausgelegt war, war nicht zu erkennen, denn der Müll lag Zentimeter hoch. Pappschachteln zwischen Plastikbechern und Pizzakartons, Zigarettenkippen und schimmelnde Teller, stapelweise japanische Comics, die leeren Hüllen von Computerspielen, dazwischen eine Playstation, deren Kabel sich wie dünne, schwarze Schlangen durch den Abfall wanden, ein Schreibtisch, der wohl niemals benutzt wurde, weil er schon seit Langem unter Bergen von Papier verschwunden war, ein zerwühltes Bett, bunte Bettwäsche, von der mir mit großen, schwarzen Augen ein Pokemon zuzwinkerte, ein Nachtschrank, auf dem ich zwischen sechs Bierdosen ein leicht unscharfes Foto von Eva Ahrend in einem silbernen Bilderrahmen erkannte.
Und über dem Chaos, an dem Stahlträger, der das Garagendach hielt, hing Jendrick Haberland. Erhängt am Kabel eines Joysticks.
Ich blinzelte, weil ich nicht glauben konnte, dass ich das wirklich sah.
Danner war mit einem Satz bei dem leblosen Körper des großen Jungen.
»Raus hier!«, befahl er mir knapp.
Doch ich war unfähig, mich zu rühren.
Ich konnte meine Augen nicht abwenden von Jendricks langem, dünnem Hals, der an der Stelle, wo das schmale Kabel sich zugezogen hatte, tief eingeschnürt und schwarz verfärbt war.
Danner griff nach Jendricks Hand. Vielleicht um einen Puls zu tasten.
Er würde keinen finden. Jendrick Haberland war tot, daran bestand kein Zweifel. Ich sah es an dem unnatürlich weißen Gesicht, das einen scharfen Kontrast zu den dunklen Haaren bildete. An der völligen Leblosigkeit der langen Arme und Beine. An der Art, wie er schlaff in der Mitte des Raumes von der Decke baumelte.
Plötzlich war unvorstellbar, dass er noch vor drei Tagen mit seinen merkwürdig schleppenden Bewegungen durch die Schule geschlurft war.
Danner ließ Jendricks Hand wieder los. Der Arm pendelte noch einen langen Moment kraftlos hin und her. Auch die Finger hatten sich fleckig verfärbt. Als das Herz aufgehört hatte, das Blut durch die Adern zu pumpen, hatte es sich unter den Fingernägeln angesammelt.
Danner sah sich nach mir um.
Mir wurde bewusst, dass ich noch immer völlig starr in der Tür stand.
»Der ist schon länger tot, nicht wahr?« Ich bemühte mich, meine Stimme nicht zittern zu lassen.
»Länger als achtundvierzig Stunden, die Leichenflecken lassen sich nicht mehr wegdrücken und die Totenstarre hat schon wieder nachgelassen«, antwortete Danner sachlich, ohne mich aus den Augen zu lassen.
Mühsam versuchte ich, die Verkrampfung meiner Schultern ein wenig zu lösen, um meinen Kopf bewegen und endlich meinen Blick abwenden zu können. Dunkle Punkte tauchten auf, huschten um Jendrick Haberlands baumelnden Körper herum und verschwanden wieder.
Danner kam zu mir herüber.
Ich hörte mein eigenes Blut in meinen Ohren rauschen. Die schwarzen Flecken bewegten sich auf mich zu, tanzten um mich herum.
Dann stürzte der Boden unter meinen Füßen weg. Ich versuchte, mich an der Wand abzustützen, griff daran vorbei, ins Leere …
Als ich wieder zu mir kam, fror ich.
Meine Jacke war geöffnet worden und frische Luft durchdrang meinen Pulli. An meiner Wange spürte ich die kalte, glatte Fläche, auf der ich lag.
Ich hörte Danner sagen: »… die Spurensicherung und einen Arzt. – Nein, den Krankenwagen können wir uns sparen.«
Ich fühlte seinen Griff warm an meinem Handgelenk.
Sofort beschleunigte sich mein Herzschlag.
Ich öffnete die Augen und sah graue Wolken und Danner mit seinem Handy am Ohr.
Vorsichtig wandte ich den Kopf. Ich lag auf der verbeulten Motorhaube der Schrottschüssel, Danner saß neben mir. Weil er noch immer mein Handgelenk umgriff, begann schon wieder mein ganzer Arm zu kribbeln, als hielte ich die Finger in eine Steckdose.
Mit einem Ruck setzte ich mich auf.
»Jetzt beweg deinen Arsch«, sagte Danner zu dem Telefon und ließ meine Hand los. »Bis gleich.«
Er sprang vom Auto.
»Sitzen bleiben!«, befahl er mir. »Lenny ist in zehn Minuten hier, die Spurensicherung braucht etwas länger.«
Er öffnete die Autotür und holte ein Paar Handschuhe aus dem Seitenfach.
»Du kannst Lenny winken, wenn er auftaucht.«
»Ich glaube nicht, dass Lenny deine Schüssel übersieht, so beschissen, wie du wieder geparkt hast.« Ich rutschte vom Wagen, nicht ganz sicher, ob meine wackligen Beine mein Gewicht tragen würden.
»Du bleibst hier, hab ich gesagt!«
»Du bist aber nicht mein Papa, dass ich auf dich hören müsste!«
Danner funkelte mich wütend an,
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