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Der 13. Brief

Titel: Der 13. Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Klassen
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er wieder da.
    Erstaunlich, wie deutlich sich jedes Detail in mein Gehirn gebrannt zu haben schien. Die bläulichen, eingerissenen Lippen, die fettigen Haare, die unebenen Aknenarben zwischen den Pickeln auf seinen Wangen. Ohne Vorwarnung öffnete Jendricks Leichengesicht die Augen und blickte mich an.
    Vor Schreck vergaß ich zu atmen.
    Das gleiche, ausdruckslose Starren, mit dem er in der Schule neben mir hergeschlichen war. Doch jetzt konnte er meinem Blick standhalten, sah mich an. Vorwurfsvoll.
    Hatte er tatsächlich grüne Augen gehabt?
    Plötzlich streckte er die Hand nach mir aus. Überdeutlich sah ich die dunklen Leichenflecken an seinen Fingerkuppen, die schwarzen Schmutzränder unter den abgekauten, blutunterlaufenen Nägeln.
    Die Hand kam näher.
    Ich wollte schreien, konnte nicht!
    Er griff nach meinem Gesicht.
    Hastig fuhr ich zurück – spürte, wie ich stolperte. Und fiel!
    Fiel …
    Polternd landete ich auf dem Fußboden neben der Couch. Mein Herz pochte heftig und der Rücken meines T-Shirts war nass von Schweiß.
    »Fuck!«, fluchte ich nicht besonders leise.
    Im gleichen Moment ging das Licht an. Danner stand in dunklen Shorts in der Tür. Hätte er Haare gehabt, hätten sie ohne Zweifel in alle Richtungen abgestanden.
    »Komm mit.«
    Noch bevor ich mich ganz aufgerappelt hatte, packte er meine Hand, hob meine Decke auf und schob mich in sein Schlafzimmer.
    »Was soll das?«
    Ich versuchte, meine Hand zu befreien, doch ich war zu verwirrt, um überzeugend zu meckern.
    Er hielt inne. »Hast du echt noch Schiss vor mir?«, wollte er wissen.
    »Nein.«
    Nein, wirklich nicht. Kein bisschen.
    »Dann stell dich nicht an. Ich würde gern noch ein paar Stunden schlafen.« Mit einer Kopfbewegung deutete er auf sein zerwühltes Bett.
    Ich runzelte die Stirn, als hätte er vorgeschlagen, in einem Bordell ein Bier zu bestellen.
    »Was ist?«, knurrte er. »Ich denke, du bist so supercool? Ich verspreche, ich falle nicht über dich her.«
    »Okay«, stimmte ich zögernd zu.
    In seinem breiten Bett war problemlos für uns beide Platz.
    Ich wickelte mich in meine Decke ein. Danner rutschte an mich heran und legte mir einen Arm über die Schultern. Sofort wurde mir warm, meine Haut begann unter der Berührung zu brennen. Sein Arm war schwer, kräftig und wegen der Haare rau.
    »Siehst du ihn noch?«, fragte er.
    Vorsichtig schloss ich die Augen. Ein heller Fleck tauchte vor mir auf. Einen Augenblick lang glaubte ich, eine Nase darin entstehen zu sehen. Doch bevor ich das Gesicht wirklich erkennen konnte, verschwamm es wieder.
    »Nicht mehr so deutlich.«
    »Dann wag bloß nicht, dich noch einmal zu rühren, bevor der Wecker klingelt, kapiert?«
    Unter dem Gewicht seines Armes konnte ich mich sowieso nicht bewegen. Doch genauso wenig würde ich schlafen können, solange seine Berührung meine Haut grillte wie ein Toaster.
    Auch das beruhigte mich nicht gerade. So was war mir noch nie passiert. Ich hatte noch nie körperlich auf einen Mann reagiert! Tatsächlich war ich noch nicht ein einziges Mal verliebt gewesen. Noch nie!
    Merkwürdig, wenn man bedachte, dass ich gerade die Pubertät hinter mir hatte. Und dass ich dabei realistisch geschätzt mehr Sex gehabt hatte als viele Vierzigjährige in ihrem bisherigen Leben.
    Aber keiner der Kerle, mit denen ich im Bett gewesen war, hatte mir je etwas bedeutet. Sex hatte für mich nichts mit Nähe zu tun. Es war, als würde ich neben dem Bett stehen und zusehen, was die Typen mit meinem Körper machten, ohne zu begreifen, dass das wirklich mir passierte. Damit es zumindest nicht wehtat, hatte ich immer mit Creme nachgeholfen.
    Im Ernst, ich glaubte, ich war frigide.
    War aber auch kein Wunder, denn Männer ließen sich doch im Prinzip in drei Gruppen einteilen: scheintote Grapscher, sexsüchtige Pubertierende oder selbstverliebte Trottel. Ich kapierte bis heute nicht, warum man beim Anblick eines Mitglieds von Tokio Hotel dahinschmelzen sollte wie ein Stück Butter in der Mikrowelle.
    Aber schon immer waren Männer das eindeutig effektivste Mittel gewesen, meinen Vater in die Tobsucht zu treiben. Ich brauchte mir nur den Typen mit dem hässlichsten Tattoo und dem kleinsten Gehirn auszusuchen und konnte sicher sein, dass die nachfolgende Explosion die Mühe im Bett wert war.
    Spätestens wenn der Kopf meines Vaters wieder seine normale Farbe angenommen hatte, war das tätowierte Spatzenhirn für mich allerdings uninteressant geworden. Also hatte ich ihn abserviert und

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