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Der 13. Brief

Titel: Der 13. Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Klassen
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Spüle kotzen.«
    Tatsächlich hatte ich zwei Mal gekotzt, bevor ich mich eine halbe Stunde lang unter eine kochend heiße Dusche gestellt hatte.
    »Willst du dich lieber hinlegen?«
    Ich schüttelte den Kopf. Kein schöner Gedanke, allein oben auf dem Sofa zu liegen und die Decke anzustarren. Selbst hier in der Kneipe glaubte ich, Jendricks weißes Totengesicht in den schäumenden Kronen der Biergläser auftauchen zu sehen. Anscheinend hatte sein Geist beschlossen, mich heimzusuchen. Aus Rache, weil ich ihm noch vor drei Tagen das Schicksal gewünscht hatte, das ihn jetzt wirklich ereilt hatte.
    Bei dem Gedanken sah ich im Pril-Schaum der Spüle seinen zusammengeschnürten Hals zwischen meinen Fingern. Erschrocken zuckte ich zurück und starrte in das seifige Wasser, als hätte ein Piranha nach mir geschnappt.
    Danner bemerkte ich erst, als er mir den Schwamm aus der Hand nahm.
    »Ich zapf die nächste Runde.«
    Artig setzte ich mich an unseren Tisch und nippte an meinem Tee.
    »Was hast du mit ihr gemacht?«, zischte Molle Danner an.
    Danner achtete nicht auf ihn.
    Staschek betrat die Kneipe. Er sah müde aus, seine Schritte waren weniger geschmeidig als sonst und er hatte sich in seinen Mantel eingerollt, als wäre ihm kalt.
    Auch Danner setzte sich an unseren Tisch.
    »Hat gedauert, bis wir seine Mutter gefunden haben«, begann Staschek zu berichten. »Sie hat ’n Ein-Euro-Job in ’ner Frittenbude. Und glaubt es oder nicht, sie hat Jendrick seit Freitagmittag nicht mehr gesehen. Sie sagt, das wäre nicht ungewöhnlich, er käme oft tagelang nicht aus seinem Zimmer. Bestellt sich Fast Food und spielt Playstation. Die Frau hat gar nicht gecheckt, was ich ihr erzählt habe. Hatte mindestens drei atü auf ’m Kessel.«
    Das passte zu den Wodkaflaschen in der Mülltonne.
    »Ich hab sie ins Krankenhaus einliefern lassen. Die knallt sonst vielleicht durch, wenn sie ausnüchtert.« Er rieb sich die Stirn. »Laut Aichingers vorläufiger Diagnose ist Jendrick seit Samstagabend tot. Eine genaue Uhrzeit gibt’s noch nicht. Der Autopsiebericht kommt frühestens morgen, aber den werden wir sowieso nicht zu Gesicht kriegen.«
    »Und übermorgen wird Evas Fall zu den Akten gelegt«, schlussfolgerte Danner.
    »Jedenfalls hat Haberland der Kollegin Wegner ein wunderbares Motiv für Evas Selbstmord geliefert. Sie hat den Terror nicht mehr ausgehalten«, nickte Staschek.
    »Wieso hätte sie den Spinner ausgerechnet jetzt nicht mehr aushalten sollen? Der verfolgte sie doch seit Jahren!«, mischte ich mich ein. »Und bringt man sich um, weil man bespannert wird? Wo doch sonst alles so wunderbar war in Evas Leben? Hat Jendrick sie im Biounterricht mal wieder angestarrt und da hat sie plötzlich gedacht: Das halte ich nicht mehr aus, nach der Stunde springe ich aus dem Fenster?«
    Ich hatte die ungeteilte Aufmerksamkeit der beiden Männer.
    »Wenn ihr meine Meinung hören wollt: Jendrick, das Kleinhirn, hat sich überschätzt. Eva hat sich bestimmt nicht wegen ihm umgebracht. Wenn sie Selbstmord begangen hat, dann gab es irgendeinen Auslöser. Dass Jendrick sich aufgehängt hat, beweist nur, dass er saublöd war.« Für diese Worte würde mich sein gestörter Geist wahrscheinlich in den Wahnsinn treiben.
    Staschek nickte langsam: »Ich will, dass ihr weiter dranbleibt. Auch wenn der Fall eingestellt wird. Wenn Eva irgendwas passiert ist, was einen Selbstmord ausgelöst hat, will ich das wissen.«
    Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare.
    »Und ich will wissen, ob es Lena auch passieren kann.«
    Als ich gegen ein Uhr, in meine Decke eingerollt, die Augen schloss, blendete mich das flimmernde Weiß von Jendricks Gesicht, so deutlich sah ich ihn vor mir.
    Erschrocken riss ich die Augen wieder auf. Eine Sekunde lang starrte ich mit klopfendem Herzen in die Dunkelheit.
    Verdammt.
    Ich probierte es ein zweites Mal – das Gleiche.
    Meine Füße schmerzten, mein Rücken tat weh und meine Lider waren bleischwer. Wenn ich nicht wenigstens ein paar Stunden schlief, würde mir morgen in der Schule noch nicht einmal eine Ausrede für den verpassten Sportunterricht einfallen.
    Erneut schloss ich die Augen, um in der nächsten Sekunde wieder hochzufahren.
    Was jetzt?
    Wahrscheinlich schlief ich sofort ein, wenn meine Augen nur zublieben. Ich hatte sowieso keine andere Wahl, als mich der Erinnerung zu stellen, ich konnte ja nicht ewig wach bleiben.
    Entschlossen zog mir die Decke unters Kinn und machte vorsichtig die Augen zu.
    Sofort war

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