Der 13. Engel
hatte, obwohl sie sicher war, ihn nicht erwähnt zu haben. Seltsam.
Nachdenklich machte sie sich auf den Rückweg zu Gibbons Weinhandlung. Was hatte der Gaukler damit gemeint, als er sagte, er wisse, was sie vorhabe? Amy strich sich im Gehen eine schwarze Locke aus der Stirn. »Ich habe doch gar nichts vor!« Kaum hatte sie es laut ausgesprochen, wusste sie auch schon, dass es nicht stimmte. Während Tante Hester sie von einem Geschäft zum anderen geschleift hatte, hatte Amy die ganze Zeit über nur ein einziger Gedanke beschäftigt: Was würde jetzt aus ihrem Vater werden? Von ihrer Tante konnte er jedenfalls keine Hilfe erwarten. Also musste Amy selber etwas unternehmen. Ja, genau. Sie musste Beweise für seine Unschuld finden. Nie und nimmer war er ein Verräter. Egal, was Tante Hester sagte oder über ihn zu wissen glaubte.
Auf einmal war Amy ganz aufgeregt. Sie hatte auch schon eine Idee, wo sie mit ihrer Suche anfangen konnte. Allerdings würde sie sich dafür heimlich aus dem Haus schleichen müssen. Aber das würde sie schon hinbekommen.
Amy lächelte still vor sich hin, als sie das Weingeschäft erreichte. Von Tante Hester war weit und breit nichts zu sehen. Also warf Amy einen Blick in das Schaufenster. Ein paar eingestaubte und uralt aussehende Weinflaschen lagen dort in mit rotem Samt ausgeschlagenen Holzkästen.
Plötzlich schrak sie zusammen. Aus dem Schaufenster stierte sie das Spiegelbild eines maskenhaft weißen Gesichtes an. Es war das der unheimlichen Frau, vor der Cornelius geflohen war. »Was wollen Sie von mir?«, flüsterte Amy mit bebender Stimme.
Schweigen.
Langsam drehte Amy sich um, aber da war niemand.
Der seltsame Mr Fraud
Amy und ihre Tante waren gerade erst vom Einkaufen zurückgekehrt, als es an der Haustür läutete. Es war Mr Fraud, Amys Hauslehrer, ein dürrer kleiner Mann, der für seine schmächtige Erscheinung einen viel zu großen Kopf hatte. Was den Eindruck erweckte, als stecke mehr Wissen darin, als eigentlich hineinpasste. Amy wollte ihm zur Begrüßung die Hand reichen, aber Mr Fraud lächelte nur höflich und scheuchte sie in ein nahe gelegenes Zimmer, in dem bereits alles für den Unterricht vorbereitet war. Ohne lange Vorrede packte Mr Fraud seine Bücher aus und begann mit Amys Unterrichtung.
Es war schrecklich. Auf einen zweistündigen, unendlich langweiligen Ausflug in die Geschichte folgte eine Stunde Algebra, die Amy wie fünf vorkam. Den Unterricht bei ihrem Vater fand sie so viel spannender, obwohl er unablässig Magie benutzte. Wenn sie sich mit der Vergangenheit beschäftigten, beschwor er stets Abbilder besonders interessanter Fundstücke herauf, deren Originale man sonst nur im Museum bewundern konnte, wo sie hinter dicken Glasscheiben verstaubten. Und in Geografie benutzte er eine verzauberte Landkarte. Tippte man eine Ortschaft darauf an, öffnete sich ein magisches Fenster, sodass man direkt in die ausgewählte Stadt hineinblicken konnte.
Mr Fraud dagegen arbeitete ausschließlich mit seinen Büchern, aus denen er unentwegt zitierte. Und das mit einer Stimme, die so monoton war, dass Amy sich immer wieder selber in den Arm zwicken musste, um nicht einzuschlafen. Ein paar Mal hatte sie sogar den Eindruck, dass Mr Fraud selber nur mit Mühe ein Gähnen zurückhielt. Erstaunlicherweise schien er genauso wenig Freude am Unterricht zu haben wie Amy.
Obwohl Mr Fraud wie der größte Langweiler der Welt wirkte, jagte der Blick seiner wässriggrauen Augen Amy eine Gänsehaut über den Rücken. Ständig ruhten sie auf ihr, als wäre sie ein wertvoller Besitz, den man keinen Moment unbeaufsichtigt lassen durfte, sodass sie sich fast wie Mr Frauds Gefangene fühlte. Erst als sie eine Pause einlegten, wurde ihr Hauslehrer etwas lebhafter, wenn auch nicht unbedingt angenehmer.
»Mir ist zu Ohren gekommen, dass du nicht zaubern kannst«, sagte er geradeheraus. »Ist das wahr?«
Amy lief rot an. »Ja, Sir.«
»Interessant.«
»Sie finden es nicht schlimm?«, fragte Amy überrascht.
»Wenn es nach mir ginge, gäbe es auf dieser Welt überhaupt keine Magie«, erwiderte Mr Fraud unerwartet schroff. Im nächsten Moment lächelte er jedoch, als wollte er damit das Gesagte abmildern. »Sie hat eben nicht nur Gutes hervorgebracht, musst du wissen.«
Amy nickte. Etwas Ähnliches hatte sie heute schon einmal gehört.
»Das mit deinem Vater tut mir leid«, wechselte Mr Fraud übergangslos das Thema. »Das war sicherlich ein Schock für dich.«
Tante Hester ist
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