Der 13. Engel
einer Decke steckt.« Sie holte tief Luft. »Bitte denken Sie jetzt gut nach«, sagte sie eindringlich. »Gibt es sonst niemanden in der Stadt, der uns etwas über die Engel erzählen kann?«
»Nein, niemanden«, versicherte ihr Mr Burbridge eine Spur zu hastig. Er wandte das Gesicht ab.
Amy kniff die Augen zusammen. »Sie lügen!« Neben ihr sog Finn zischend die Luft ein. Und früher hätte Amy sich auch nie getraut, das einem Erwachsenen ins Gesicht zu sagen. Inzwischen stand jedoch einfach zu viel auf dem Spiel. »Warum tun Sie das? Wollen Sie uns nicht helfen?«
»Mehr als alles andere«, murmelte Mr Burbridge beschämt. »Nur kann ich euch unmöglich zu ihm schicken. Er ist … gefährlich!«
»Gefährlicher als Lucia und Lord Winterhall?«, erwiderte Amy kühl. »Denn mit ihnen werden wir es alle zu tun bekommen, wenn es uns nicht gelingt, sie aufzuhalten.«
»Verlange das nicht von mir, kleine Amy«, flehte Mr Burbridge. »Es könnte euch Schlimmes widerfahren, wirklich Schlimmes!«
Amys Züge wurden hart. »Wo finden wir ihn, Mr Burbridge? Sagen Sie es mir!«
Feuer!
Der Donner war so laut, dass alle drei erschrocken zu sammenfuhren. Ein greller Blitz folgte fast im gleichen Augenblick. Das Unwetter musste direkt über der Bibliothek hängen.
Amy sah zum Fenster. Man konnte regelrecht zusehen, wie sich massige graue Wolkenberge über der Stadt auftürmten. Rasend schnell breiteten sie sich in alle Richtungen aus, verschlangen die Sonne und den blauen Himmel, sodass schon bald ein Licht wie zur Abenddämmerung herrschte. Plötzlich wieder ein Blitz, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen, das die Fensterscheiben zum Schwingen brachte.
Amys Herz machte einen Sprung. »Der muss ganz in der Nähe eingeschlagen haben«, japste sie.
»Was geht hier vor sich?«, murmelte Mr Burbridge und rückte aufgeregt seine Brille zurecht.
Wieder fuhr ein Blitz herab und explodierte mit einer Lautstärke, als hätte jemand neben der Bibliothek eine Kiste Dynamit gezündet. Schreie der Angst und des Entsetzens hallten über den langen Korridor vor Mr Burbridges Büro.
»Das ist kein normales Gewitter!« Amy war aufgesprungen und lief hinüber zum Fenster, von wo sie den Haupteingang der Bibliothek sehen konnte. Und dort standen sie: Lucia, Tante Hester und noch ein paar andere Männer und Frauen. Von vielen ging die gleiche Aura des Bösen aus wie von der Frau mit dem Porzellangesicht.
»Was geschieht hier?«, rief Mr Burbridge ängstlich.
»Das ist ein magisches Unwetter«, raunte Finn mit blasser Miene. »Und die da unten haben was damit zu tun. Seht euch nur ihre Gesichter an.«
Amy begegnete dem kalten Blick von Lucias schwarzen Augen. Grimmig starrte sie zu ihr hinauf, während ein siegessicheres Lächeln um ihre Mundwinkel spielte. Woher hat sie gewusst, dass wir hier sind?, fragte sich Amy schaudernd.
Noch mehr Donner und Blitze folgten. Die Schreie, die die Hallen und Flure der Bibliothek erfüllten, wurden immer lauter und zahlreicher. »Feuer! Feuer!«, hörte man vereinzelte Stimmen rufen.
Amys Finger schlangen sich um Mr Burbridges rechten Arm. Selbst durch den schweren Stoff seines Gewandes fühlte er sich so dürr und zerbrechlich wie ein vertrockneter Zweig an. »Ich muss es wissen«, verlangte sie. »Wo finde ich denjenigen, den ich nach den Engeln fragen kann?«
Mr Burbridge legte eine zittrige Hand auf die ihre, wie um sein Bedauern auszudrücken. Sie war eiskalt. »Ich darf nicht, ich würde euch sonst in Gefahr bringen. Er ist ja nicht einmal ein Mensch.«
»Und wenn wir sagen, dass wir von Ihnen kommen?«, warf Finn hoffnungsvoll ein.
Donnergrollen verschluckte die ersten Worte von Mr Burbridges Antwort. »… keine Freunde. Wir kennen einander nicht einmal.« Er schüttelte den kahlen Kopf. »Ich weiß nur von ihm, weil ich als junger Mann einmal so töricht war, seine Ruhe zu stören. Aber das ist eine andere Geschichte.« Er sah hinunter zum Haupteingang, aus dem schreiende Menschen flohen. »Wir müssen jetzt gehen, bevor das Feuer sich weiter ausbreitet. Schnell!«
»Nein.« Amy stellte sich ihm in den Weg. »Ich rühre mich nicht von hier weg, bevor ich nicht meine Antwort habe.«
»Sei keine Närrin!«, schalt Mr Burbridge sie. »Ich … ich könnte dich zwingen«, murmelte er hilflos.
»Magie wirkt bei mir nicht.«
»Oh kleine Amy, riechst du den Rauch denn nicht? Wir sind hier drinnen in Lebensgefahr!«
»Das sind wir draußen auch«, sagte Finn und stellte sich an Amys
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