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Der 13. Engel

Der 13. Engel

Titel: Der 13. Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Borlik
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Abständen von blassgelben Gaslaternen erhellt wurde, wand sich in engen Spiralen in die Tiefe. An ihrem Ende erwartete die drei ein gewaltiges Gewölbe, das von einem Labyrinth aus Bücherregalen beherrscht wurde und dessen größter Teil in tiefer Schwärze versunken dalag.
    Das Archiv.
    Mr Burbridge schnappte sich eine der Laternen. »Husch, husch«, rief er und tauchte in einen schmalen Gang zwischen zwei Regalen ein. Es gab auf dieser Seite des Gewölbes Dutzende von ihnen, die alle gleich aussahen. Hoffentlich wusste Mr Burbridge, was er tat. Bei der Vorstellung, sich hier unten zu verirren, während die brennende Bibliothek über ihren Köpfen einzustürzen drohte, wurde Amy abwechselnd heiß und kalt.
    »Er kennt doch den Weg, oder?«, fragte Finn flüsternd. Anscheinend gingen ihm ähnliche Gedanken durch den Kopf.
    Amy versuchte zu lächeln. Als ihr das nicht gelang, beließ sie es bei einem Achselzucken. Sie sah, wie Finn schluckte. Es tut mir leid, dachte sie traurig und heftete den Blick wieder auf den gebeugten Rücken von Mr Burbridge, der direkt vor ihr ging. Innerhalb weniger Augenblicke waren sie so tief in das Archiv vorgedrungen, dass sie nun vollkommen von Bücherregalen umgeben waren. Wie Mauern ragten sie links und rechts, dann mal wieder vor oder hinter ihnen auf, meist so hoch, dass ihr Ende in der Dunkelheit über ihren Köpfen verschwand, die selbst Mr Burbridges Gaslaterne nicht zu erhellen vermochte. Amy hatte längst die Orientierung verloren, so oft, wie sie immer wieder in neue Gänge abgebogen waren und die Richtung gewechselt hatten. Mr Burbridge schien sich jedoch blind zurechtzufinden – eben wie ein Maulwurf, der jeden Zentimeter seines unterirdischen Reiches kennt.
    Still war es um sie herum geworden. Viel zu still. Das Grollen des Unwetters war hier unten nicht zu hören. Nur dann und wann drang ein dumpfes Poltern zu ihnen durch, wenn weitere Teile der Bibliothek unter dem Ansturm des Feuers zusammenbrachen. Selbst ihre Schritte wurden von der zentimeterdicken Staubschicht gedämpft, die den Boden bedeckte und in kleinen Wölkchen um ihre Füße tanzte. Offensichtlich waren sie in einen Teil des Archivs gelangt, der kaum benutzt wurde.
    Amy blickte sich immer wieder nach Finn um, da der Abstand zwischen den Regalen so eng geworden war, dass sie nur noch hintereinander gehen konnten. Mittlerweile war Mr Burbridges Laterne ihre einzige Lichtquelle, was diesen Ort noch ungemütlicher und gruseliger wirken ließ. In ihrem matten Schein tauchten immer wieder neue Reihen klobiger Bücher auf. Unscheinbare, in dunkles Leder gebundene Werke vergangener Zeiten. Doch dazwischen entdeckte Amy auch Bücher, die zwischen den anderen herausstachen: Sie waren mit Goldfarbe beschriftet, einige sogar mit Juwelen verziert. Und dann gab es noch jene Bücher, bei deren bloßem Anblick Amy das kalte Grausen packte. Es lag weniger daran, wie sie aussahen, als daran, was sie ausstrahlten: etwas unsagbar Böses. Als enthielten sie Geheimnisse, die einfach nicht aufgeschrieben gehörten. Darum hatten sie wohl auch Schlösser.
    Es fanden sich nicht nur Bücher in diesem unterirdischen Gewölbe. Da waren noch andere Dinge, die Amy lieber nicht gesehen hätte: die verschrumpelten Leiber toter Spinnen, das Skelett einer Maus, das unter einem Regal hervorschaute. Am widerlichsten aber fand sie die milchig weißen, augenlosen Käfer, die mit ihren zuckenden Fühlern an fette Küchenschaben erinnerten und sich in den Spalten und Ritzen zwischen den Büchern eingenistet hatten, wo sie aufgeregt umherwuselten, sobald das Licht der Laterne auf sie fiel.
    Plötzlich spürte Amy einen warmen Lufthauch an ihrem Ohr, dann vernahm sie Finns Stimme. »Etwas folgt uns.«
    »Bis du sicher?«, raunte sie zurück. Hier war es so still und das Einzige, was sie hörte, was das Echo ihrer eigenen Schritte.
    »Ich glaube, es sind Ratten«, sagte er etwas unsicher. »Sie laufen oben über die Regale. Wenn man aufmerksam lauscht, kann man das Schaben ihrer Krallen auf dem Holz hören.«
    Amy sah ihn verängstigt an. »Denkst du dasselbe wie ich?«
    »Dass diese Albinoratten in Wahrheit Spione von Lucia sind?«
    »Sie tauchen überall auf, wo wir hingehen.« Angeekelt erinnerte sie sich daran, wie die Alte in der Carrodsgasse eines der Tiere zertreten hatte. Sie musste gewusst haben, was es mit den Ratten auf sich hatte.
    Mr Burbridge blieb so unverhofft stehen, dass Amy fast in ihn hineingerannt wäre. Sie waren an eine

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