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Der 13. Engel

Der 13. Engel

Titel: Der 13. Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Borlik
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ergriffen, aber er starrte so finster vor sich hin, dass sie es nicht wagte. Sie wusste nicht, ob er wütend auf sie war, weil sie ihn zu der Ruine geschleppt hatte, oder nur nachdenklich. Man begegnet schließlich nicht jeden Tag einem Geist. Auch Amy musste dieses Erlebnis erst einmal ver dauen, obwohl es sie mehr erschreckte, was sie über die Engel erfahren hatte. Tausend Jahre lang waren ihre Körper versteinert gewesen, ihre Geister dagegen hellwach, damit sie über den Verrat nachdenken konnten, den sie an der Familie des ersten Königs begangen hatten. Wie mochte es in jemandem aussehen, den man auf diese Weise bestraft hatte? Sie versuchte, es sich vorzustellen, und war entsetzt über das, was sie dabei fühlte: Hass, Wut, Zorn und Enttäuschung. Aber sie konnte auch verstehen, warum der König es getan hatte. Seine Kinder hatten sterben müssen, nur weil die Engel mit den Taten ihres Vaters nicht einverstanden waren. Um so etwas Grausames zu tun, muss man schon ein Herz aus Stein haben. Amy dachte sogleich an Lucia und fragte sich, ob sie überhaupt eines besaß. Eine einzelne Träne kullerte ihr die Wange herab.
    Finn berührte sie zaghaft am Arm. »Ist alles in Ordnung?«
    Amy nickte erst, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich muss an all die Menschen denken, denen die Engel nichts als Unglück und Leid gebracht haben. Den Kindern des ersten Königs, Aurelius und seiner Familie, jenen, die verschwunden sind, und … meinem Vater.«
    »Es wird alles wieder …« Finn brach hilflos seufzend ab. Ihm war anzusehen, dass er nicht mehr daran glaubte, dass sie noch eine Chance gegen die Verschwörer hatten. Und da war er nicht der Einzige. Amy hatte gehofft, Aurelius’ Antworten würden ihr eine Lösung für ihr Problem liefern, aber das war nicht passiert. Im Gegenteil: Was sie von ihm erfahren hatten, ließ die Zukunft nur noch trostloser erscheinen.
    Amy schluckte. Ihr Blick wanderte zu den Dunstschwaden, die träge zwischen den uralten Bäumen des Parks hin und her waberten. Mal schienen sie sich zu grimmigen Fratzen zu vereinen, dann wieder wurden monströse Gestalten daraus. Doch inzwischen hatte der Nebel für Amy nichts Unheimliches mehr an sich. Die hoffnungslose Leere in ihrem Inneren ließ keinen Platz für Furcht.

    Als sie ihr Versteck betraten, wusste Amy sofort, dass etwas nicht stimmte. Das alte Büro war viel wärmer, als sie bei dieser Kälte draußen erwartet hatte, was daher kam, dass im Kamin ein prächtiges Feuer loderte. Dabei waren sie viele Stunden unterwegs gewesen. Es hätte längst heruntergebrannt sein müssen.
    Jemand saß auf dem alten Sofa. »Ich habe auf euch gewartet.«
    Amy tauschte mit Finn einen Blick. Er nickte und sie durchquerten langsam den Raum, bereit, sofort die Flucht zu ergreifen. Mit größtmöglichem Abstand gingen sie um das Sofa herum, bis sie ihrem Besucher ins Gesicht blicken konnten.
    »Cornelius, du lebst!«, rief Amy erleichtert.
    Am liebsten wäre sie vorgestürzt, um den Gaukler zu umarmen. Sie tat es jedoch nicht, weil sie viel zu sehr über seinen Anblick erschrocken war. Sein magisches Duell mit Lucia hatte deutliche Spuren hinterlassen. Cornelius hatte zwar keine schweren körperlichen Verletzungen davongetragen, dafür war sein schwarzes Haar mit den blauen Spitzen nun mit silbrigen Fäden durchzogen. Und seine tiefblauen Augen hatten ein Gutteil ihres Glanzes eingebüßt, wenngleich sie noch immer fröhlich und zuversichtlich dreinblickten.
    »Gleich bei unserer ersten Begegnung hätte mir klar sein müssen, dass du niemals aufgeben würdest«, sagte er mit einem müden Lächeln. »Nicht du.« Er musterte sie mit einer Mischung aus Kummer und Stolz. »Ich dachte, ich hätte verhindern können, dass du in diese Sache hineingezogen wirst. Ihr beide. Als ich hörte, dass es eine wie dich gibt, eine, die ohne Magie geboren wurde, wollte ich dich sehen. Aber du warst nur ein kleines Mädchen und ich war überzeugt, dass du niemals eine Chance gegen Lucia hättest.«
    »Hätten wir auch nicht gehabt, ohne deine Hilfe und die der anderen.« Amy musterte ihn mit gerunzelter Stirn. »Was meinst du damit, dass du mich unbedingt kennenlernen wolltest? Wir sind uns doch nur zufällig in der Carrodsgasse begegnet.«
    Seine Augen blitzten belustigt auf. »Es gibt keine Zufälle, liebe Amy. Jedenfalls nicht für mich. Und glaube mir, niemand kommt ohne Hilfe aus. Entscheidend ist, dass ihr niemals aufgegeben habt, trotz Lucias Einschüchterungsversuchen. Die

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