Der 13. Engel
zuckte zusammen. »Du … du kennst ihn?«
Er lachte freudlos. »Vergiss nicht, ich war dabei, als der König ihn über uns verhängte. Es ist einer der mächtigsten Zauber, der je von einem Menschen erdacht wurde.«
»Du meinst, wir brauchen ihn nur zu erneuern und schon wird Lucia wieder zu Stein?«, frohlockte Finn bereits.
Cornelius schüttelte den Kopf. »So einfach wird es nicht werden. Heutzutage gibt es keinen Zauberer und keine Hexe mehr, die so mächtig sind, wie es einst der erste König war. Daher sollte der Fluch von mindestens zwei Zauberern oder Hexen gesprochen werden und einer davon muss ein Nachkomme aus der königlichen Linie sein.«
»Prinz Henry«, murmelte Amy.
Cornelius nickte. »Sein Vorfahre ist der Schöpfer des Fluches, darum wird die Magie des Prinzen dem Bann erst Leben einhauchen. Aber wie ich schon sagte, wird er es nicht alleine gegen Lucia und die anderen aufnehmen können, sondern auf eure Hilfe angewiesen sein.« Der Gaukler wandte sich Finn zu. »Du wirst ihm alle magische Unterstützung geben müssen, derer du fähig bist. Und du, Amy …«
»… wirst nutzlos daneben stehen«, beendete sie für ihn den Satz.
»Im Gegenteil«, widersprach der Gaukler so energisch, dass sie zusammenzuckte. »Ohne dich werden die beiden verloren sein. Du wirst ihnen beistehen müssen, denn sobald Lucia durchschaut hat, was vor sich geht, wird sie Magie gegen Finn und Prinz Henry einsetzen. Sie wird versuchen, beide oder auch nur einen von ihnen, auf ihre Seite zu ziehen, um die Beschwörung des Fluches zu unterbinden.« Er beugte sich zu Amy vor. »Und du musst das verhindern, denn nur du bist gegen ihre Einflüsterungen gefeit! Hilf ihnen, stark zu sein, unterstütze sie mit all deiner Kraft, mit deiner Freundschaft und Liebe.«
Amy sah ihn mit großen Augen an. Ihre Kehle fühlte sich plötzlich so rau an, dass sie das Gefühl hatte, nie wieder schlucken zu können. Meinte Cornelius das ernst? Alles sollte alleine von ihr abhängen?
»Es tut mir leid, so leid«, sagte der Gaukler. »Ich wünschte, ich könnte diese Aufgabe für dich übernehmen. Aber auf mich wartet ein anderes Schicksal.«
Der Schwarze Stern
Es war Sonntag. Der Tag von Prinz Henrys Krönung.
Um Punkt zwölf sollte die Zeremonie in der alten Kathedrale im Süden der Stadt beginnen. Cornelius kam an diesem Tag schon sehr früh in die Weberei. Amy und Finn rieben sich gähnend die Augen, weil sie gerade erst aufgewacht waren.
»Die ganze Stadt ist in Feststimmung«, verkündete Cornelius erstaunlich gut gelaunt. »Es werden überall kleine Wimpel mit dem Wappen des künftigen Königs verteilt. Und ich habe uns das hier mitgebracht.« Er legte ein gut verschnürtes Bündel auf das Sofa und begann den Knoten zu lösen. Darin fanden sich Brötchen, Honig, Konfitüre, ein wenig Käse und frische Eier.
»Ist das unsere Henkersmahlzeit?«, fragte Finn verdrießlich.
»Warum bist du so übler Laune?«, gab Cornelius zurück. »Heute ist unser großer Tag!« Er zwinkerte den Kindern zu. »Keine Sorge, es wird schon alles gut werden. Ihr müsst nur daran glauben.«
»Wenn das so einfach wäre.« Amy hatte schlecht geschlafen. Die halbe Nacht hatte sie sich ruhelos von einer Seite zur anderen gewälzt. Und wenn sie doch einmal eingenickt war, hatte sie grauenhafte Albträume durchlebt – von zornigen Engeln, die unter einem finsteren Himmel schwebten, aus dem immer wieder Blitze auf die Stadt hinabzuckten, um Häuser und Straßen in Brand zu setzen. War es das, was sie erwartete, wenn sie heute versagen würden?
»Willst du nichts essen?«, fragte Cornelius.
Amy schüttelte den Kopf. Ihr Magen fühlte sich an, als wäre er auf Erbsengröße zusammengeschrumpft. Ein einziger Bissen würde ausreichen, und das Abendessen käme ihr wieder hoch. Auch Finn machte keine Anstalten zuzugreifen.
»Wenn ihr nicht mögt.« Cornelius zuckte die Achseln und stopfte die Sachen in sich hinein. »Eigentlich müssen Engel nicht essen«, erklärte er schmatzend. »Aber so köstliches Essen kann man doch nicht verderben lassen. All diese Gerüche und Geschmäcke, die einem auf der Zunge zergehen …«
»Du bist unmöglich«, fauchte Amy. »Wie kannst du nur so ruhig bleiben? In ein paar Stunden können wir bereits tot sein.« Sie maß den Gaukler mit einem finsteren Blick. »Zumindest Finn und ich.«
Cornelius legte das Brötchen, in das er gerade gebissen hatte, neben die anderen. Nun richtete er sich auf und trat zwei Schritte zurück,
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