Der 13. Engel
wir versteinert, unsere Geister aber waren hellwach, sodass wir miterleben konnten, was in der Welt vor sich ging. Lucia sah nur das Schlechte. Sie suchte regelrecht danach, nur, um die Menschen noch mehr verachten zu können. Vor dem Schönen und Guten verschloss sie die Augen, trotzdem war es da. Außer Hass und Krieg gab es nämlich auch immer noch Liebe und Freundschaft unter den Menschen. Doch ihr eigener Hass machte Lucia dafür blind.« Cornelius vergrub das Gesicht in den Händen und bedrückendes Schweigen breitete sich in dem kleinen Zimmer aus. Beklommen starrte Amy vor sich hin. Sie hätte ihn so gerne getröstet, aber sie wusste nicht, was sie hätte sagen können.
»Was soll jetzt passieren?«, fragte Finn nach einer Weile.
Amy warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. Sah er nicht, was mit Cornelius los war?
»Wie ich schon sagte, wir werden uns Lucia entgegenstellen.« Der Gaukler hob den Kopf und lächelte schwach.
Amy rollte mit den Augen. Was war nur los mit ihm? Hatte er immer noch nicht begriffen, dass es nichts mehr gab, was sie noch tun konnten? Dann fiel ihr ein, dass er die Wahrheit über den Schwarzen Stern noch gar nicht kannte. Vielleicht war er dem gleichen Irrglauben wie alle anderen aufgesessen. Als einer der dreizehn Engel hatte er die vermeintliche Macht des Steines am eigenen Leib erfahren müssen und hoffte nun womöglich, ihn ein weiteres Mal gegen Lucia und seine anderen Brüder und Schwestern einsetzen zu können.
Amy holte tief Luft und sagte: »Ich muss dir etwas erzählen, Cornelius.« Und dann begann sie von ihrem nächtlichen Abenteuer in der Spukruine zu berichten und was sie von Aurelius über den Fluch erfahren hatten. Zuerst riss Cornelius ungläubig die Augen auf, im nächsten Moment schlug er sich vor Vergnügen auf die Schenkel. Goldene Tränen rannen ihm über die Wangen. Jetzt ist er aus lauter Verzweiflung wirklich verrückt geworden, dachte Amy.
Nach einer Weile beruhigte sich Cornelius wieder. »Der Schwarze Stern ist also nur ein wertloser Stein«, murmelte er mit hochgezogenen Brauen vor sich hin. »Das ist die überraschendste und zugleich beste Nachricht, die mir seit Langem zu Ohren gekommen ist.«
Amy glaubte sich verhört zu haben. »Was soll daran gut sein?«
»Dass wir mehr wissen als Lucia. Damit haben wir einen Vorteil ihr gegenüber.« Cornelius grinste wie ein kleiner Junge, dem man gerade das schönste Geburtstagsgeschenk gemacht hatte, das er sich vorstellen konnte. »Begreifst du nicht? Solange sie davon überzeugt ist, dass der Schwarze Stern für den Fluch verantwortlich ist, wird sie dem Prinzen nichts antun. Erst nachdem sie den Stein in ihren Besitz gebracht hat, schwebt er ernsthaft in Gefahr.«
»Das hilft uns aber nicht weiter«, erwiderte Amy.
»Und ob! Während der Krönungszeremonie am Sonntag werden Lucia und die anderen nur noch den Schwarzen Stern im Sinn haben. Das gibt uns Gelegenheit, unbemerkt in die Kathedrale zu gelangen.« Er rieb sich vor Begeisterung die Hände. »Und dann schlagen wir zu!«
Amy starrte ihn mit offenem Mund an. Cornelius war zweifelsfrei wahnsinnig. »Das ist doch blanker Unsinn!«, rief sie aufgebracht. »An Lucias Stelle würde ich gerade an einem Tag wie diesem alle Augen und Ohren offenhalten, damit mir niemand im letzten Moment dazwischenfunkt.«
»Du kennst Lucia nicht. Nun ja, jedenfalls nicht so gut wie ich. Sie ist arrogant und hochnäsig. Und da es mir bei unserer letzten Begegnung nicht gelungen ist, sie zu besiegen, wird sie nicht damit rechnen, dass ich es so schnell ein zweites Mal versuchen werde.«
Amy holte tief Luft, um sich wieder zu beruhigen. »Vielleicht sie nicht, aber sie ist ja nicht alleine dort. Du vergisst Lord Winterhall, meine Tante und all die anderen, die sie unterstützen.«
»Hm, um die mache ich mir die wenigsten Sorgen.« Er zuckte gelassen, fast schon gleichgültig die Achseln.
Er will es einfach nicht verstehen, dachte Amy fassungslos.
Finn, der die ganze Zeit über geschwiegen hatte, fragte nun: »Was möchte sie überhaupt mit dem Schwarzen Stern machen?«
»Ihn zerstören, was sonst?!«, sagte Cornelius schulterzuckend, als wäre es das Offensichtlichste auf der Welt. »Damit der Fluch nie wieder ausgesprochen werden kann. Sie weiß ja nicht, was wir wissen.«
»Zerstören?« Amy war überrascht. An diese Möglichkeit hatte sie noch nicht gedacht. »Ich habe geglaubt, dass sie ihn Lord Winterhall überlassen wird, damit er das Volk unter seine Herrschaft
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