Der 18 Schluessel
hatte damit begonnen, Bücher über Geheimbünde, okkulte Orden und Verschwörungstheorien zu lesen. Eliana hatte geglaubt, er lese diese Bücher für sein Studium. Sie hätte besser hinsehen müssen ... sie hätte die Zeichen erkennen müssen! Die innere Unruhe, die ihn immer wieder befallen hatte, die Schlafstörungen, der Antriebsmangel. Stattdessen hatte Eliana ihm geraten, eine Woche zu seinen Eltern zu fahren und auszuspannen. Eliana, irgendetwas stimmt nicht mit mir, hatte er zu ihr gesagt, und sie hatte es wieder nur als Stress abgetan. Also war Lukas eine Woche zu seinen Eltern gefahren, und Eliana hatte sich auf eine wichtige Prüfung konzentriert. Als Lukas zurückkehrte, schien zunächst alles gut zu sein, doch nur zwei Tage später war er nackt, den Körper mit irgendwelchen magischen Schutzzeichen bemalt, in die Mensa der Uni gestürmt, und hatte das Ende der Welt verkündet. Die Ärzte diagnostizierten Schizophrenie, und seine Eltern wiesen Lukas für ein halbes Jahr in die Psychiatrie ein. In seiner Studentenwohnung fanden seine Eltern Bücher über magische Geheimbünde, Rituale und Weltuntergangstheorien sowie eine abenteuerliche Auswahl verschiedener aufputschender Drogen und verschreibungspflichtiger Medikamente. Marihuana war wahrscheinlich dabei die harmlosere gewesen – Heroin die Schlimmste. Dazu Schlafmittel, Schmerzmittel ... sogar die Ersatzdroge Methadon. Zum Schluss hatte Lukas selbst nicht mehr gewusst, was er alles genommen hatte.
Die Diagnose der Ärzte hatte schwere Schizophrenie mit negativer Verlaufsform gelautet. Nach einem halben Jahr war Lukas zwar mit einer wirksamen Medikamentierung entlassen worden, welche die Symptome seiner Schübe eindämmte, doch sein Studium hatte er abbrechen müssen. Aber das, was Eliana besonders belastete war, dass Lukas und sie auf dem besten Weg gewesen waren, ein Paar zu werden, dass sie mit ihm geschlafen hatte, sogar in seiner Wohnung gewesen war und nicht bemerkte, dass er Probleme hatte – was für eine schlechte Psychiaterin wäre sie geworden! Nach Lukas Einweisung hatte sie ihr Psychologiestudium geschmissen und war auf Germanistik umgestiegen. Als Lukas aus der psychiatrischen Heilanstalt entlassen wurde, tat Eliana einfach, als hätte es sie als Paar niemals gegeben. Ein Teil von ihrer fühlte sich schuldig, obwohl der andere Teil ihr sagte, dass sie an seiner Krankheit überhaupt nicht schuld sein konnte.
Bei keinem Menschen hatte Eliana jemals eine größere Veränderung in der Persönlichkeit erlebt, als bei Lukas. Als sie ihn kennenlernte, war er gepflegt und ein offener Mensch gewesen. In seiner Wohnung hatten Bilder von Wasserfällen und Regenbogen gehangen. Er war der Erste im Hörsaal gewesen und hatte seine Arbeiten immer pünktlich abgeliefert. Niemand wusste, was Lukas Veränderung ausgelöst hatte oder ob zuerst die Drogen oder die Schizophrenie da gewesen war. Eliana hatte seine Zuverlässigkeit, seine Ordnung und seine Weltsicht geschätzt – und dann war auf einmal nichts mehr davon da gewesen. Den Lukas, in den sie sich verliebt hatte, gab es nicht mehr – es war, als hätte Dr. Jekyll sich in Mr. Hyde verwandelt.
Es hatte Eliana sehr viel Kraft und Tränen gekostet zu begreifen, dass sie ihren Lukas nicht mehr zurückbekommen würde. Vielleicht war sie deshalb beziehungsunfähig und eigenbrötlerisch geworden. Lukas loszulassen war einfach zu schmerzhaft gewesen.
Eliana hatte ihn nach seiner Entlassung aus der Psychiatrie besucht. Doch er war düster und verschlossen, eigentlich ein Unbekannter, sodass ihre Besuche unregelmäßiger geworden waren und schließlich ganz aufgehört hatten. Sie vermied es sogar, die Wege zu gehen, auf denen sie fürchtete, ihm auf der Straße zu begegnen. Sie hatte begriffen, dass sie ihr Leben ohne ihn leben musste, wenn sie nicht vor die Hunde gehen wollte.
Eliana seufzte, denn die Angst ihn wiederzusehen war nicht unerheblich. Und doch - es war nur eine vage Idee, aber vielleicht konnte Lukas etwas mit diesen seltsamen Zeichen anfangen, die Danyal auf das Papier gekritzelt hatte. Weltverschwörungstheorien, Geheimschriften, Codes – Lukas war schizophren, aber er kannte sie alle.
Der Nieselregen hatte Eliana schon fast durchweicht, als sie am alten Rathaus im ehemaligen jüdischen Viertel vorbeikam und kurz darauf an der Umzäunung, hinter der das überbaute pyramidenförmige Schaudach der mittelalterlichen Mikwe, einem jüdischen Bad für rituelle Reinigungen, lag. Im
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