Der 18 Schluessel
die Tore zur Arena und entzogen sich unseren Blicken.
Durch eine kleine von zwei Soldaten bewachte Pforte schob unser Aufseher uns hinaus auf die Straße vor dem Amphitheatrum Flavium , auf der sich Menschen drängten, um einen Platz bei den Kämpfen zu bekommen. Für sie waren die Spiele Unterhaltung und Abwechslung, für Sem und viele andere ein Handel mit dem sicheren Tod. Ohne uns aus den Augen zu lassen, schob der Aufseher uns über die Straße, und dann zu einem kleineren Torportal mit einer dicken Holztür, gegen die er hämmerte.
„Wer da?“ kam es von hinter der Pforte. Unser Bewacher antwortete: „Marcus! Ich bringe die Neuen.“ Kurz darauf wurde von innen geöffnet, und das Tor hinter uns wieder verschlossen.
„Hoffentlich sind die kräftiger als die Letzten“, gab der zahnlose Alte, der uns hineingelassen hatte, zu bedenken.
„Wir werden sehen“, antwortete Marcus knapp und führte uns weiter durch eine kleinere Arena, in der Männer mit Holzschwertern gegen Pfähle oder gegeneinander kämpfen. Ihre öligen und schwitzenden Körper glänzten in der prallen Sonne. Sie warfen nur einen kurzen Blick auf uns, die Neuankömmlinge, und widmeten sich dann wieder ihren Übungen.
Marcus führte uns in den arkadenartigen Anbau der Schule, in dem sich die Schlaf- und Wohnzellen befanden.
Hinter einer Linksbiegung wies er uns einen spärlich eingerichteten Raum zu, in dem Pritschen mit Decken sowie ein Tisch und ein paar Hocker standen. Ein Fenster gab es nicht, nur eine Öffnung unterhalb der Decke, durch die ein schmaler Lichtstrahl fiel. „Bessere Bedingungen für gute Kämpfer, die der Schule zum Ruhm und Einnahmen verhelfen“, verhieß Marcus knapp und ließ uns dann mit unseren Gedanken alleine.
Dies alles war schlimm für Sem, denn obwohl er gut ausgebildet war, fehlten ihm Wut und Ehrgeiz, die einen Kämpfer antreiben und sein Überleben sichern. Ich glaube, dies war auch der Grund, weshalb ich mich ihm angeschlossen hatte. Es war nicht klug, ich hätte mich lieber von den Menschen fernhalten sollen, denn der Schutz des Buches Raziel war wichtiger ... doch ich war ein Schutzengel, und ebenso, wie die Menschen nicht aus ihrer Haut können, so kann ich nicht meine wahre Natur verleugnen. Nicht das erste Mal fragte ich mich, warum die mächtigen Cherubim ausgerechnet mir, einem so machtlosen Geschöpf der untersten Hierarchie, diese Last aufgebürdet hatten. Zuerst tat ich meine Pflicht - ich versteckte in einem unbeobachteten Augenblick die Rolle mit den Schriften des Raziel hinter einem losen Stein über meiner Liege, wo sie niemand vermuten würde, dann sorgte ich dafür, dass Sem meine Ration Bohnen und Getreide aß. Sem fragte mich nie, warum ich diese abgegriffene Hülle aus Leder hütete wie einen Schatz, und dafür war ich ihm dankbar. Aber Sem war ein einfacher Mann, der Dinge selten hinterfragte. Er bemerkte auch nie, dass ich selbst nichts aß. Essen war immer etwas, wofür ich die Menschen bewunderte, denn sie schienen es als Genuss zu empfinden, ebenso, wie sie es als genussvoll empfanden, mit einer Frau zu schlafen. Ich aß nicht, ich schlief nicht, ich lag bei keiner ihrer Frauen - ich verspürte keinen Schmerz und keine Hitze oder Kälte. Ich lebte bereits Jahrhunderte unerkannt unter ihnen und tat Dinge, die sie auch taten, ohne sie zu verstehen. Das Nachempfinden ihrer glücklichen oder traurigen Augenblicke blieb mir verwehrt. Trotzdem liebte ich sie ... aber es war eine Liebe, die meiner Rasse von meinem Schöpfer gegeben worden war.
„Du bist mein Freund, Danilo“, sagte Sem am ersten Abend in unserem neuen zu Hause.
„Wenn ich dich nicht getroffen hätte, und wir zusammen verschleppt worden wären ... ich glaube nicht, dass ich das hier überstehen könnte!“
Er sagte die Wahrheit, und deshalb war ich bei ihm.
Keine zwei Tage dauerte es, bis Marcus die anderen, die mit uns gekommen waren, zur Tierhatz in die Arena brachte. Sie kehrten abends nicht zurück, und wir sprachen nicht über sie, da wir wussten, dass sie nicht mehr lebten. Es tat mir leid um sie, doch Sem war der, den ich beschützen musste. Schon in Ravenna hatte ich mich dazu entschlossen, und obwohl ich bisher nicht hatte töten müssen, wollte ich nicht selbst zum Kämpfer der Arena werden. Ein beinahe unmögliches Unterfangen, wie ich nun feststellte. Trotzdem stand mein Entschluss fest, Sem nicht von der Seite zu weichen. Ich würde ihn vor Schaden bewahren ... ebenso wie das Buch.
Nach ein paar
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