Der 18 Schluessel
einstimmten.Und ich lebte zu dieser Zeit unter jenen, denen die Schmähreden galten ... ich gab mich als Jude aus; und ich nannte mich Daniel.
Während ich mit eingezogenem Kopf die Judengasse entlang lief und dann um die Ecke zur Torgasse bog, verbarg ich mein Gesicht so gut es ging unter meinem auffällig gelben Judenhut. Ich musste ihre Gewalt und ihren Hass zwar nicht fürchten, doch ich fürchtete um die Menschen, mit denen ich lebte. Außerdem hatte ich hier einen geeigneten und ruhigen Ort gefunden, um das zu tun, was dringend nötig war. Der alte brüchige Papyrus, den ich in der Lederhülle mit mir herumtrug, war im Laufe der Jahrhunderte fast unleserlich geworden. Und während die Menschen schliefen, saß ich nachts bei einem Talglicht an meinem Schreibpult, tauchte eine Gänsefeder in die Tinte und kopierte die Zeichen in der uns eigenen Schrift auf die leeren Seiten aus Pergament, die ich bereits von einem Buchbinder in eine Lederbindung hatte fügen lassen. Auf keinen Fall durfte ich die beschriebenen Seiten aus der Hand geben. Meine Arbeit war fast beendet, höchstens noch drei Nächte, dann wäre es fertig – das gebundene Buch Raziel! Eigentlich durfte es niemals mehr als ein Exemplar geben, doch dies war ein Ausnahmefall. Den alten Papyrus würde ich vernichten, sobald ich fertig war.
Doch die Zeiten wurden immer unruhiger und ich immer nervöser. Es war keinen Monat her, dass sich in Frankfurt die gesamte Judengemeinde in ihren Häusern verbrannt hatte, um einer erzwungenen christlichen Taufe zu entgehen. An anderen Orten wurden ganze jüdische Gemeinschaften vom aufgebrachten Lynchpöbel zusammen in ein Haus getrieben und verbrannt. Sogar in Städten, in denen die Pestilenz noch gar keinen Einzug gehalten hatte. Papst Klemens hatte sich gegen die Verfolgung der Juden ausgesprochen, und auch der Erzbischof und der König sicherten uns Schutz, wenn auch gegen klingende Münze, zu – doch sie waren weit fort, und in Coellen hatten schon immer mehr die Bürger geherrscht, als der Erzbischof oder der König.
In den Straßen Coellens war man in diesen Tagen in höchster Gefahr, wenn man einen Judenring an seiner Kleidung trug oder als jüdische Frau durch den vorgeschriebenen blaugestreiften Schleier erkennbar war. Doch nicht aus diesem Grund sah ich immer wieder über meine Schulter, während ich durch die vor Fäulnis und Hass schwärenden Straßen lief.
„Wucherer ... Teufelsbuhle!“ Eine Kaufmannsfrau in einem schmutzigen Kleid spie vor mir aus und erntete beifälliges Nicken von einer anderen. Solcherlei Verwünschungen war ich längst gewohnt. An diesem Tag war es schlimmer als sonst – die Stimmung der Menschen erinnerte an eine schwärende Pestbeule – und ich spürte, dass diese kurz davor war, aufzubrechen.
„Da kommt der Jud! Schaut nur, wie der sich umdreht - als würde der Teufel auf seiner linken Schulter hocken ... als hätte er was zu verbergen!“
Wie Recht sie hatten, obwohl es anders war, als sie glaubten. Ich hatte mittlerweile ein Gespür dafür, wenn die Wut der Menschen so gefährlich war, dass man ihnen aus dem Weg ging. Heute war ein solcher Tag. Ich blieb erst stehen und atmete auf, als ich das Tor zum Judenviertel durchschritten hatte. Trotzdem hatte ich an diesem Tag Glück gehabt - außer Fliegen, die über dem Matsch der Straße kreisten, dem Kadaver eines verendeten Hundes, den niemand wagte anzufassen und den hasserfüllten Worten der Bürgersfrauen, war ich unbehelligt geblieben.
„Daniel!“ vernahm ich die Stimme meines Mündels, Hannah. Sie kam aus dem Haus des Rabbiners gelaufen, wo ich sie untergebracht hatte, den blaugestreiften Schleier fest um ihr Haar gelegt. Ihr langer Surcot wurde von einem dunklen Mantel verdeckt, obwohl es ein brütend heißer Tag war. Sie sah mich herausfordernd an, was bedeutete, dass sie nicht bester Laune war.
„Ich will zum Tuchmacher am Markt, Bänder und Borten für mein Hochzeitsgebinde kaufen. Außerdem braucht Esther getrocknete Kräuter zum Ausräuchern des Hauses. Sara ist auch krank ... die Tochter des Goldschmieds.“
Ich hielt sie am Arm fest, denn noch war ich ihr Vormund. „Hannah, du kannst das Viertel heute nicht verlassen. Es ist zu gefährlich.“
Ihre großen Augen umspielte ein Zug von Spott und Auflehnung. Hannah war zu furchtlos für eine Frau. „Wenn ich verheiratet bin, mag mein Gatte mich einsperren und bevormunden. Aber verdirb du mir nicht meinen letzten Tag ohne Knute und Fessel.“
„Sie
Weitere Kostenlose Bücher