Der 18 Schluessel
höchstens zehn Minuten von seiner entfernt. Wäre es damals anders gekommen – wer weiß? Vielleicht hätten sie heute zusammen in ihrer hübschen Altbauwohnung gelebt und wären glücklich gewesen; und der Engel wäre Eliana nie begegnet. Lukas vertrieb die sinnlosen Gedanken – wofür? Um Kinder in eine Welt zu setzen, deren Zeit längst abgelaufen war?
Er war da. An ihrer Wohnungstür überlegte Lukas zu schellen und Eliana aus dem Bett zu holen – dann hätte er auch endlich einen Blick auf den Engel werfen können. Doch ihm blieb keine Zeit mehr. Hastig klappte Lukas den Briefkastenschlitz hoch und warf den Umschlag hinein. „Gib dir Mühe, Eliana“, flüsterte er. Mehr konnte er nicht tun. Er musste einfach hoffen, dass sie klug genug wäre, die Spur weiter zu verfolgen, und dass ihr dafür noch genügend Zeit blieb. Lukas warf einen letzten Blick auf das sandfarbene Giebelhaus. Dann wandte er sich ab. Er musste so schnell wie möglich untertauchen. Sein Kopf hämmerte, seine Lungen schmerzten. Auf seinem Gesicht stand ein Schweißfilm, obwohl Minusgrade herrschten. Du bist ein Freak, aber sie haben dich zu Unrecht in die Klapse gesteckt. Die Welt ist am Arsch, wenn sie den Engel finden.
Als er um die Ecke des sandfarbenen Giebelhauses bog, blieb er abrupt stehen. Sie warteten bereits auf ihn. Es waren vier, alle in schwarzer Soutane. Ihre Körper waren schlank und hochgewachsen wie die von Soldaten, und sie waren jung, höchstens Mitte Zwanzig. Ihre Haare trugen sie im Einheitsschnitt mit einem Linksscheitel. Ihre Waffe, so erkannte Lukas, war ihre Unauffälligkeit. Sie konnten überhall hingehen und auftauchen, ohne Misstrauen zu erwecken – außer sie taten es zusammen, denn dann verriet sie ihre Ähnlichkeit. Aber es war drei Uhr in der Nacht und weit und breit war niemand zu sehen. Lukas stöhnte und erkannte seinen Fehler. Er hatte sie direkt zu Elianas Wohnung geführt. Der Umschlag – hatten sie gesehen, wie er ihn in den Briefkasten geworfen hatte?
„Guten Abend, Lukas“, sagte einer von ihnen ruhig. Seine Stimme wies einen prägnanten italienischen Akzent auf. „Du kannst es nicht aufhalten, und du kannst uns nicht aufhalten.“
Es war zu spät! Gemeinsam setzten sie sich in Bewegung und kamen direkt auf ihn zu. Sie waren ausgebildete Jäger, sie waren ... Soldaten Gottes! Lukas fuhr herum und rannte zurück zum Haus. Wenn er es in den Hausflur schaffte, dann würden sie es nicht wagen ihm zu folgen – zu viele Zeugen. Doch er kam noch nicht einmal bis zur Haustür. Zwei der Ordenspriester packten ihn an den Armen und zerrten ihn von der Haustür fort, hinein in den Schatten eines Erkers. Warum, verdammt, war gerade jetzt weit und breit niemand zu sehen? Lukas wollte schreien, doch aus seiner Kehle kam nur ein jämmerliches Wimmern. Die Angst lähmte ihn. Einer der Vier zog eine Drahtschlinge aus dem Ärmel seiner Soutane. Oh Gott, bitte, bitte ... Lukas wollte sich aus dem Griff der Ordensbrüder befreien, doch er war weder konditioniert wie sie noch ausgeruht. Die vielen Zigaretten und Medikamente hatten ihre Spuren hinterlassen. Er hörte sich flehen: „Bitte ... ich werde nichts sagen!“
Der Priester mit der Drahtschlinge sah mitleidlos auf ihn herab. Er war fast einen Kopf größer als Lukas. „Du musst geheim halten, was die sieben Donner gesprochen haben ... und du sollst es auch nicht niederschreiben. So spricht Johannes, der Prophet der Apokalypse. Und - hast du es niedergeschrieben, Lukas?“
Er schüttelte den Kopf, kalter Schweiß stand in seinem Nacken. Sie hatten offenbar nicht gesehen, wie er den Umschlag in den Briefkasten geworfen hatte. Vielleicht konnte er sein Leben noch retten. „Niemand weiß etwas. Ich schwöre es!“
„Du hast Dateien aus dem Zentralrechner des Ordens kopiert. Du hast gesündigt, Lukas. Und du weißt, Gott bestraft Sünder.“ In den Worten des Ordensbruders lag tiefste Überzeugung.
„Aber ... ich habe doch nichts getan.“
Der Ordenspriester blieb unbeeindruckt. „Aber das hättest du - du hättest alles, was du herausgefunden hast, der jungen Frau erzählt, die den Engel versteckt. Wir haben sie gesucht ... und du hast uns zu ihr geführt.“
„Sie weiß nichts ... bitte lasst sie in Ruhe.“ Ehe Lukas wusste, wie ihm geschah, küssten ihn alle vier Brüder nacheinander auf die Stirn. Es war eine seltsam friedliche Geste – wie ein Abschiedskuss. „Wenn sie morgen aufwacht, wird sie frei sein, ihr Leben weiterzuleben“,
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