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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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rein, schnell.«
    Er führte ihn in die Küche. Margarete kam aus dem Wohnzimmer und erstarrte einen Moment. »Mein Gott, was ist Ihnen denn passiert?« Sie fand ihre Fassung gleich wieder. »Gustav, Herr Werdin will bestimmt ein Bad nehmen. Außerdem braucht er neue Kleidung. Er hat ungefähr die Statur von Klaus. Ich suche ihm schon mal etwas heraus. Zeig unserem Gast das Bad, gib ihm ein großes Handtuch und Seife. Nun mach schon.« Werdin war dankbar, dass sie taktvoll über den Gestank schwiegen, den er mit sich trug. Mellenscheidt bat ihn, ihm zu folgen.
    Auf der Diele stand Irma. Werdin glaubte, dass sie kurz lächelte, als sie ihn sah. »Was ist geschehen?«, fragte sie mit leiser Stimme. »Ach nein, machen Sie sich erst einmal frisch.« Sie schaute ihn mit erschrockenen Augen an.
    Als er gebadet hatte, klopfte es an der Tür. Werdin öffnete, Mellenscheidt reichte ihm neue Kleidung. Sie passte einigermaßen, die Hosenbeine waren etwas kurz. Er ging in die Küche und fragte Margarete, was er mit der schmutzigen Kleidung tun solle. »Das überlassen Sie mal mir«, erwiderte Margarete. Sie führte ihn ins Wohnzimmer, Irma saß in einem Sessel und blätterte in einer Zeitschrift.
    »Jetzt sehen Sie ja wieder wie ein Mensch aus«, sagte sie. Sie sah die Fesselmale an seinen Handgelenken, sie bluteten leicht an einigen Stellen. Irma stand auf, verließ das Zimmer und kehrte mit einem Verbandskasten zurück. »Am Kopf bluten Sie ja auch«, sagte sie. Sie hatte die dunkle Stelle in seinen Haaren entdeckt, wo ihn Wehlings Schlag getroffen hatte.
    Irma nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände und betrachtete die Verletzung. Mit einer Schere befreite sie die Wunde von Haaren. Er spürte keinen Schmerz, er genoss jede Sekunde ihrer Berührung. Sie strich etwas Salbe auf, darüber brachte sie ein Pflaster an. Einmal strich sie ihm zart über den Kopf, dann zog sie ihre Hand schnell zurück. »Zeigen Sie Ihre Handgelenke«, sagte sie. Sie umwickelte beide vorsichtig. »Jemand hat Sie gefesselt.«
    Margarete erschien mit einem Teller mit Margarinebroten. »Was anderes kann ich Ihnen leider nicht anbieten«, sagte sie. »Was möchten Sie trinken?«
    Werdin bat um Wasser. Mellenscheidt setzte sich zu ihnen.
    »Wer hat Sie gefesselt?«, fragte Irma.
    Werdin guckte Mellenscheidt an, der nickte.
    Irma sagte: »Er hat mir von Ihrem letzten Besuch erzählt.«
    »Ich schätze, Stalin höchstpersönlich hat mir einen Mörder auf den Hals geschickt.«
    »Aus Russland?«
    »Ja, manchmal scheut er keine Mühen und Gefahren. Für andere.«
    »Und warum?«
    »Weil ich den Putsch nicht verhindert habe.«
    »Hätten Sie ihn verhindern können, Sie allein?«
    »Ja, ich hätte die Verschwörer verraten müssen. Sie wären verhaftet worden. Ohne Verschwörer kein Staatsstreich.«
    »Und die Russen wollten Hitler an der Macht halten? Nach allem, was passiert ist?«
    »Es ist noch viel mehr passiert«, erwiderte Werdin. »Wir haben Russland nicht nur mit einem furchtbaren Krieg überzogen. Wir haben außerdem Juden, Polen, Russen zu hunderttausenden umgebracht, wenn nicht mehr.«
    »Mein Gott«, sagte Margarete.
    »Du hättest genau zuhören sollen, als Klaus das letzte Mal auf Urlaub war«, warf Irma ein. »Er hat doch auch von Erschießungen gesprochen.«
    »Aber doch nicht von Massenmord. Ich dachte, das wären Einzelfälle, Übertreibungen im Kampf gegen Partisanen.«
    Gustav Mellenscheidt sagte: »Ich habe es geahnt. Leute mit solchem Hass auf alles Fremde wie die Nazis müssen irgendwann anfangen mit dem Morden. Das steckt in ihnen drin, als stünden sie unter Druck und könnten ihn nur loswerden durch die Vernichtung alles Fremden. Erinnert ihr euch noch an die Reichskristallnacht? Spätestens da war klar, wo es enden musste.«
    »Und ich habe dir nicht geglaubt«, sagte Margarete.
    »Ich auch nicht«, sagte Irma. »Aber es ist schlimmer gekommen, als du gedacht hast, Papa.«
    »Unsere Feinde werden sich furchtbar rächen. Ganz egal, ob Hitler uns regiert oder Goerdeler«, sagte Mellenscheidt. »Am Ende ist der Krieg verloren, so oder so. Die müssen Schluss machen, sofort und meinetwegen bedingungslos.«
    »Ja«, sagte Werdin. »Aber sie werden erst einmal weiterkämpfen. Die Verschwörer haben den Alliierten einen Verständigungsfrieden angeboten, und die haben den abgelehnt. Sie haben Himmler ins Boot genommen, oder der ist selbst hineingeklettert, wie man’s nimmt, und nun wird die Sache noch schwerer. Oder glauben Sie, die Amis

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