Der 21. Juli
machen mit einem Reichspräsidenten Göring Frieden, auch wenn der nichts zu sagen hat?«
»Im Rundfunk hört sich das aber anders an«, sagte Margarete.
»Viel optimistischer. Und seit Goebbels abgesetzt ist, gibt es hin und wieder mal ein offenes Wort. Über die militärischen Fehler und die Unterdrückung Andersdenkender. Nach dem Krieg soll es sogar wieder Parteien geben, wie in der Systemzeit. Ob das gut ist?«
»Ach, wir können es sowieso nicht ändern«, warf Irma ein. »Jetzt reden wir die ganze Zeit über die blöde Politik und haben Sie schon ganz vergessen, Herr Werdin. Tut mir Leid, Sie haben bestimmt noch Schmerzen. Oder Hunger, Durst? Können wir etwas für Sie tun?«
»Ja, Sie können mich duzen«, sagte er. Es war ihm herausgerutscht. Er spürte, wie ihm das Blut heiß in den Kopf stieg.
Irma stutzte. Ihre Wangen röteten sich. Sie schaute ihn mit großen Augen an. Dann nickte sie. »Gut, Sie mich auch. Ich glaube, Sie hießen Kurt, oder?«
»Nein, Knut.«
Mellenscheidt sah seine Frau fragend an, dann lächelte er.
»Darf ich Ihnen ein Bett anbieten?«, fragte Margarete. »Unten im Keller steht eins. Wir kommen Sie dann heute Nacht besuchen, wenn Alarm ist.«
Werdin nahm die Einladung an. Er bat, mit seiner Dienststelle telefonieren zu dürfen. Er berichtete dem Wachhabenden, er sei in einen Bombenangriff geraten, lange bewusstlos gewesen, aber nur leicht verletzt. Spätestens übermorgen werde er wieder zum Dienst erscheinen. Bevor der Wachhabende zurückfragen konnte, legte Werdin auf. Es würde Ärger geben, aber nicht mehr. Nach Bombenangriffen herrschte oft Chaos, er war nicht der erste SD-Mann, der einige Zeit verschwand. Es gab einen Anschiss, und damit war die Sache erledigt. Hoffentlich.
Als er aufwachte, merkte er, er hatte den Bombenangriff nicht geträumt. Die Engländer hatten ihn geweckt. Langsam öffnete er die müden Augen. Am Fußende seines Betts saß Irma, eine Hand wie zufällig auf sein linkes Bein gelegt. Auf Stühlen erkannte er Mellenscheidt und Margarete. Werdin hatte kaum eine Minute gebraucht, um einzuschlafen, die Erschöpfung überwand Angst und schlechte Erinnerung. Er legte seine Hand auf Irmas, sie zog sie nicht weg, und streichelte sie leicht.
***
»Wir haben ihn wieder gefunden. Genauer gesagt, er hat sich gemeldet. Hat was von einem Bombenangriff gesagt, bewusstlos sei er gewesen und so weiter. Kann stimmen, muss aber nicht. Ich habe da so meine Zweifel.« Krause freute sich.
»Wir haben Glück gehabt«, sagte Schellenberg, »Schweineglück. Und wo steckt er?«
»Keine Ahnung. Aber morgen will unser lieber Kamerad Werdin wieder brav zum Dienst antreten.«
»Wie zuvorkommend. Aber wir lassen ihn in Ruhe. Ich meckere ihn ein bisschen an. Und dann schicke ich ihn ins Schwabenland zu unseren Bombenbauern.«
Krause starrte Schellenberg an. Er wollte etwas fragen, kriegte aber kein Wort heraus. Werdin war ein Verräter. Auch wenn man an Fritz’ Aussagen zweifeln wollte, warum schickte Schellenberg einen feindlichen Spion zum wichtigsten Projekt der deutschen Kriegswirtschaft?
VII.
I nzwischen hatte er sich daran gewöhnt. Die Anlage ähnelte einem gigantischen Labyrinth mit mehreren Ebenen. Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge hatten sie in Rekordzeit aus dem Boden gestampft. Als Werdin das neue Zentrum der deutschen Uranforschung zum ersten Mal sah, war er sprachlos. Mitten im schwäbischen Wald war eine der modernsten Forschungseinrichtungen der Welt entstanden, und eine der größten. Was im Bierkeller des Schwanenwirts in Haigerloch begonnen hatte, war längst ein riesiger Komplex aus Labors, Hallen und Materiallagern geworden, teils in Bunkern geschützt, teils unter die Erde gegraben. Himmler hatte die Uranforscher aus Berlin und Leipzig in Haigerloch zusammengeführt. Er hatte sie bestochen, sie verlockt, ihnen geschmeichelt und am Ende erreicht, dass die zerstrittenen Fraktionen sich zusammenrauften, vor allem ihre Diven, Kurt Diebner vom Heereswaffenamt und die renommierten Physiker Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker vom KaiserWilhelm-Institut in Berlin. Himmler erfüllte ihnen alle Wünsche, besorgte seltenes schweres Wasser aus Norwegen, beschaffte das nicht weniger seltene Uran, gab Geld und Hilfskräfte, ohne auch nur zu fragen, wofür sie gebraucht wurden.
»Ich lege Deutschlands Schicksal in Ihre Hände«, hatte er den Physikern gesagt. Diebner zitierte stolz diesen Satz, als er Werdin empfing. »Sie sind also unser neuer
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