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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Klasse, war auserkoren worden, einen kriegswichtigen Auftrag zu erledigen. Seine Stiefel traten knirschend auf Glas. Bis alles in Scherben fällt. Das Lied fiel ihm ein. Nun fiel alles in Scherben.
    Er erreichte Berlins berühmtestes Café, in dem es wie durch ein Wunder noch guten Kuchen zu essen gab. Zacher wartete auf Irma. Es war die Zeit, in der sein Leben eine neue Richtung nehmen sollte. Er war sich sicher.
    ***
    Der Wodka hatte nicht geholfen. Es war eine furchtbare Nacht gewesen. Grujewitsch hatte sich hin und her gewälzt, Gedanken rasten durch seinen Kopf. Die beiden Fallschirmagenten hatten sich seit Wochen nicht gemeldet. Entweder waren die Funkgeräte kaputt, oder der Sicherheitsdienst hatte Wehling und Hauenschildt erwischt. Vielleicht war es ihnen oder einem von beiden noch gelungen, ihren Auftrag zu erledigen. Vielleicht hatten sie Michael alias Knut Werdin als Verräter enttarnt und liquidiert. Vielleicht aber auch nicht. Grujewitsch war zu erfahren, um aus dem Schweigen seiner Agenten positive Rückschlüsse zu ziehen. Womöglich würde er nie erfahren, was geschehen war.
    Er hatte die Nacht mit Ilona verbracht, einer Genossin aus seiner Abteilung. Sie hatten zusammen getrunken und dann miteinander geschlafen. Es war unbefriedigend, mehr ein Aufbegehren gegen Gawrina als ein Ergebnis von Liebe oder auch nur Lust. Ilona war greifbar gewesen, und er hatte zugegriffen. Sie empfand es als Ehre, mit einem Kriegshelden zu schlafen. Seine Laune hatte es nicht verbessert. Er war überzeugt, die Berliner Aktion war ein Reinfall. Er hatte es vorher gewusst, Iwanow hatte es gewusst, sie hatten es trotzdem versucht. Nie aber würde er es Berija verraten. Wenn er es täte, könnte er von Glück sagen, wenn er nur auf einen anderen Posten versetzt werden würde. Er hoffte, das Debakel würde durch neue Erfolge überdeckt und schließlich vergessen.
    Neue Erfolge gab es, einen jedenfalls. In einem gut bewachten Gästehaus des NKWD mit allem Komfort, gelegen in einem kleinen Park südlich der Kalugabarriere, saß GestapoMüller. Er hatte sich einen Sonderurlaub geben lassen und war plötzlich in der sowjetischen Botschaft in Stockholm aufgetaucht. Die Genossen schafften ihn in der Nacht auf ein Schiff, das ihn nach Moskau brachte. Sie hatten ihn höflich empfangen, jetzt wurde es Zeit für ein Verhör. Gleich am Morgen würde sich Grujewitsch seinen deutschen Gegenspieler vornehmen. Schluss mit dem Getue. Wie viele Kommunisten hatte Müller auf dem Gewissen? Er war ein Schlächter. Wie viele Kommunisten haben wir auf dem Gewissen? Jagoda, Jeschow, Berija hatten wohl mehr Genossen umgebracht als die Nazis. Grujewitsch verdrängte den Gedanken wieder, die meisten waren Verräter gewesen, hatten ihre Strafen verdient. Aber einige, meldete der Zweifel sich zurück, einige hatte Grujewitsch gekannt. Die hatten niemanden verraten, schon gar nicht die Sowjetmacht.
    Er floh vor seinen Gedanken und Ängsten, indem er aufstand. Ilona lag unter einer Decke, wirre Haare, blasses Gesicht. Ein bisschen zu derb, dachte Grujewitsch. Er setzte Wasser auf und wusch sich, dann trug er Rasierschaum auf und griff nach der Klinge.
    Ilona erwachte. Sie blinzelte. »So früh?«, fragte sie nach einem Blick auf den Wecker. »Was hast du vor?«
    Grujewitsch wandte sich zu ihr um, er spürte einen leichten Schmerz am Hals.
    »Du blutest ja«, sagte Ilona.
    »Scheiße!« Grujewitsch drückte ein Handtuch auf die Rasierwunde.
    »He, du machst Flecken in mein Handtuch«, sagte Ilona.
    »Dann musst du es eben waschen.«
    Draußen war es noch dunkel. Regentropfen klopften gegen die Scheibe. Seit Tagen goss es, Moskau war ein Schlammpfuhl. Die Soldaten an der Front kriegten ihre Kampfanzüge nicht mehr trocken. Aber das war das geringste Ärgernis. Seit Hitler tot war, kämpften die Deutschen noch verbissener als vorher, vor allem aber klüger. Manstein, ihr neuer Oberbefehlshaber Ost, den Hitler in die Wüste geschickt hatte, griff in die Zauberkiste und gab den Sowjetmarschällen Schukow, Tschuikow und Genossen Rätsel um Rätsel auf. Die Rotarmisten hatten auf dem Rückzug bis 1942 den russischen Boden rot gefärbt, nun taten sie es wieder, dieses Mal auf dem Vormarsch. Es ging voran, aber jeder Kilometer war teuer. Dann ging es wieder zurück, weil Manstein an einem Abschnitt durchbrach, wo es niemand erwartet hatte. Zwei Schritte vorwärts, ein Schritt zurück. Der Krieg konnte noch lange dauern. Im Westen hatten die Deutschen sich auf den

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