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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Rhein zurückgezogen und in einem Kraftakt den Westwall wieder aufgemöbelt. Amerikaner und Engländer hatten mehrfach versucht, den Strom zu überqueren, waren aber jedes Mal zurückgeworfen worden. Mittlerweile waren sie in Untätigkeit erstarrt und überlegten offenbar, wie sie die Front durchbrechen sollten ohne Riesenverluste, die die Öffentlichkeit daheim noch mehr gegen den Krieg aufbringen würden, als es seit Hitlers Tod ohnehin schon der Fall war.
    Ilona quälte sich aus dem Bett. Er hatte sie sich reizvoller vorgestellt. Wenn er Pech hatte, würde sie jetzt an ihm kleben.
    »Was machen wir heute Abend?«, fragte sie, während sie sich einen Tee eingoss. Sie hatte nur ein Höschen an und lächelte siegesgewiss.
    »Weiß nicht«, brummte Grujewitsch. »Hab viel zu tun. Muss heute zum Genossen Berija. Es wird eine lange Nacht.«
    »Und dann kommst du«, stellte Ilona fest.
    »Glaube ich nicht«, sagte Grujewitsch. »Ich muss auch mal nach Hause.«
    Ilona schaute ihn beleidigt an. »Dann kommst du morgen.«
    »Mal sehen«, sagte Grujewitsch. »Wenn der Dienst es zulässt.«
    »Du hast es also versprochen.«
    »Ja«, sagte er. Er hasste solche Diskussionen, besonders am frühen Morgen. Besonders an diesem Morgen.
    Grujewitsch hatte seinen Fahrer zu Ilonas kleiner Wohnung im Moskauer Baumanskijbezirk bestellt. Der Wolga wartete mit laufendem Motor und Scheibenwischern, die sich vergeblich mühten, die Wassermassen von der Windschutzscheibe zu schaffen. Die Scheiben waren beschlagen, obwohl der Fahrer Heizung und Gebläse aufgedreht hatte. Grujewitsch fühlte, wie sein Hemd am Rücken zu kleben begann. Erst durchnässte ihn der Regen, dann schwitzte er. »Stell die Heizung runter«, befahl er dem Chauffeur, einem stoisch blitzenden kleinen Mann. Sie brauchten mehr als eine halbe Stunde in die Lubjanka. Grujewitsch eilte in sein Büro, wo Iwanow schon auf ihn wartete. »Wir nehmen uns Müller noch einmal vor«, sagte er.
    »Hat der nicht längst alles gesagt?«, sagte Iwanow.
    »Möglich«, erwiderte Grujewitsch.
    Müller sah aus wie ein Postinspektor. Ein biederer Mann mit einem gemütlichen bayerischen Dialekt. Grujewitsch verstand die Sprache nicht, aber er spürte es. Der Mann plauderte, als säßen sie unter Bekannten zusammen, um aus Langeweile über das Moskauer Wetter zu klagen. Grujewitsch merkte, der Dolmetscher hatte hin und wieder Schwierigkeiten, Müller zu folgen, Bayerisch wurde auf sowjetischen Sprachschulen nicht gelehrt. Trotzdem klappte die Verständigung einigermaßen, wenn auch unterbrochen durch häufige Nachfragen des Dolmetschers bei Müller.
    »Fühlen Sie sich gut, Herr Müller?«, fragte Grujewitsch.
    »Danke, ja. Sie haben mich gut untergebracht. Und ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß.«
    »Vielleicht sollten wir uns trotzdem noch mal unterhalten.«
    Müller nickte. »Gerne.«
    Grujewitsch stand auf und begann seine Runden zu drehen. So machte es der Genosse Stalin, wenn er sich mit den Genossen im Politbüro beriet. »Wer gewinnt den Krieg, Herr Müller?«, fragte Grujewitsch abrupt.
    »Deutschland nicht«, sagte Müller. »Auch wenn die in Berlin so gerne von Wunderwaffen sprechen.«
    »Sie meinen die V-1 und die V-2 oder den Turbojäger?«
    »Nein, ich glaube, die Raketen werden nicht mehr gebaut. Das war einer der ersten Beschlüsse der neuen Führung nach dem Putsch. Die Raketen bringen nichts und kosten viel. Sie sind das Produkt des Ehrgeizes gewissenloser Fanatiker wie von diesem Wernher von Braun. Sie verschleudern die Kraft einer Nation, um ihre Wahnideen zu verwirklichen. Der Strahljäger ist nichts Geheimes mehr, fragen Sie mal englische oder amerikanische Piloten.«
    Bei dem Wort »gewissenlos« mühte sich Grujewitsch, nicht zu schmunzeln.
    »Nein, es geht um einen Explosivkörper, eine Art Bombe, die in vielen Kilometer Umgebung alles vernichtet. Wirklich alles. Aber da wissen Sie mehr als ich, vermute ich. Ich habe doch nur noch mitgekriegt, wie Himmler sich gleich auf dieses Projekt stürzte.« Müller schaute Grujewitsch mit einem merkwürdigen Lächeln an. »Oder haben Sie etwa keinen Kundschafter im Reichssicherheitshauptamt? Der wird mitbekommen haben, woran die SS arbeitet.« In Müllers Stimme klang Triumph mit.
    Erst ärgerte sich Grujewitsch über die Anbiederung. »Kundschafter«, sagte der Mann, der die Rote Kapelle vernichtet hatte. »Kundschafter«, es war unglaublich.
    Mit leichter Verspätung aber traf eine andere Einsicht Grujewitsch härter. Er

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