Der 21. Juli
Errungenschaften der Sowjetwissenschaft uns den Sieg bringen. Zurück zu Ihrer Frage: In den Atomkernen ist eine ungeheure Kraft eingekapselt. Wenn es jemandem gelingt, diese Energie zu befreien, indem er die Kerne spaltet, dann verfügt er über die stärkste Kraft des Universums. Hahn und Straßmann haben erkannt, dass sich Uranatome spalten lassen, und zwar durch Neutronen. Das hatte man zuvor als unmöglich angesehen. Die Atomkerne galten als die kleinste Einheit des Universums. Wird ein Uranatom gespalten, werden Neutronen freigesetzt, die wiederum Uranatome spalten. Das nennt man eine Kettenreaktion. Können Sie mir folgen?«
Grujewitsch hoffte, Kusnezow würde bald zum Ende kommen. Aber der setzte seinen Vortrag unbarmherzig fort. Ab und zu stellte er Grujewitsch eine Frage, erwartete aber nicht mehr als ein Nicken. Er unterbrach sich nur selten, um seine Pfeife in Gang zu halten.
»Was ich Ihnen mit meinem kleinen Vortrag sagen wollte, ist einfach dieses: Wenn ein Land die Uranbombe besitzt, ist es mit einem Schlag die stärkste Militärmacht der Welt. Wenn die Deutschen die Bombe haben sollten, gewinnen sie den Krieg.«
Er kratzte sich den Glatzkopf und verzog einen Moment sein Gesicht zu einer schmerzverzerrten Fratze. »Wissen Sie, ich war in den Dreißigerjahren dreimal in Berlin, am KaiserWilhelm-Institut. Ich habe da einiges gesehen und es Ihrem Dienst ausführlich berichtet. Es ist kein Zufall, dass die Deutschen Marx und Engels hervorgebracht haben. Und Adolf Hitler. Die Deutschen neigen zu Extremen - die größten Wissenschaftler und Philosophen, die größten Verbrecher. Wenn die Deutschen etwas bauen wollen, dann bauen sie es. Was Sie mir angedeutet haben, erfüllt mich mit Sorge um unser Vaterland. Ich fürchte, wenn wir nicht bald siegen, werden wir vernichtet. Es sei denn, Ihre Informationen sind falsch. Aber das glaube ich nicht. Es muss einen Grund geben, warum die Deutschen weiterkämpfen, obwohl sie hoffnungslos unterlegen sind. Ich schätze, Sie haben mir heute diesen Grund genannt.«
Kusnezow streckte sich in seinem Sessel, dann fiel er in sich zusammen. Der Mann bot ein Bild der Niedergeschlagenheit. Er blickte nirgendwohin, er öffnete und schloss seine Hände. Grujewitsch erhob sich bedächtig, dankte Kusnezow, ohne eine Antwort zu erhalten, und verließ die Akademie. Sein Fahrer wartete vor dem Haupteingang. Grujewitsch ließ sich Zeit. Allmählich setzte sich, was Kusnezow erklärt hatte. Was am Ende hinter der Eitelkeit und dem Pathos des verwöhnten Physikers aufgeblitzt hatte, war Angst.
Er berichtete Iwanow von der Begegnung. Danach drängte er die Genossin Armatowa in Berijas Vorzimmer, ihm sofort einen Termin beim Minister zu geben. »Aber nur, wenn es lebenswichtig ist«, sagte die Armatowa streng.
»Das ist es, Genossin Armatowa. Es ist wichtiger als unsere Siege in Stalingrad und Kursk.«
Grujewitsch erhielt sofort einen Termin.
In Berijas Dienstzimmer roch es nach Parfüm. Ein Kissen lag auf dem Boden. Eine Flasche Weinbrand und zwei Gläser standen auf dem Tisch. Berija sah erschöpft aus. »Ich habe eine wichtige Sitzung mit georgischen Genossen wegen Ihnen abgebrochen«, sagte Berija. »Ich hoffe, es ist wirklich wichtig, was Sie mir zu sagen haben.« Er schaute Grujewitsch böse an.
Grujewitsch setzte sich auf den angebotenen Platz. Er berichtete von Müllers Informationen und seinem Gespräch mit Kusnezow. Berija hörte schweigend zu. Keine Miene verriet, was er dachte. Als Grujewitsch fertig war, bildete er sich ein, das blasse Gesicht des Ministers sei noch weißer geworden.
»Es ist richtig, dass Sie mit diesen Informationen gleich zu mir kommen.« Er schwieg einen Moment. »Aber glauben Sie nicht auch, dass der Genosse Stalin alle modernen Wissenschaften im Kopf hat, dass er alle Gefahren und Möglichkeiten kennt? Glauben Sie nicht auch, dass die sowjetische Physik der deutschen Physik überlegen ist, weil sie auf der Grundlage der Lehren von Stalin arbeitet?« Berija schaute Grujewitsch streng an.
Grujewitsch sagte nichts. Er dachte an das Gespräch mit Kusnezow. Der Physiker war von der Überlegenheit der sowjetischen Physik nicht so überzeugt gewesen.
»Und selbst wenn die Deutschen sich einbilden, irgendwann so eine Bombe bauen zu können, etwa weil sie unsere wissenschaftlichen Einrichtungen ausspioniert haben, dann besichtigt unser Marschall Schukow doch eher den Reichstag in Berlin.«
Berija hatte offensichtlich sein Erschrecken überwunden. Er
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