Der 21. Juli
Affentanz, mit ihm saufen gehen, Andeutungen, Drohungen in die Welt setzen? Mal auf den Busch klopfen. Ihm die Warnung auf dem Silbertablett liefern. Schellenberg war ein Genie, keine Frage. Aber warum ließ er einen SS-Mann laufen, der womöglich schon vor seiner Flucht ein Verräter war? In welchem Zusammenhang stand Werdins Flucht mit dem Unternehmen Götterdämmerung ? Genauer gefragt, warum schickt man einen, den man im Verdacht hat, für den Feind zu arbeiten, als Sicherheitsoffizier zum geheimsten Projekt, das es in Deutschland gab? Und dann sagt man ihm, man verdächtige ihn, ein Verräter zu sein, und lässt ihn laufen. Das war verrückt. Aber Schellenberg war nicht verrückt. Und Krause entging nicht, wie der SD-Chef nach Werdins Flucht gut gelaunt ein Liedchen gepfiffen hatte. Er grinste vor sich hin wie ein Lausbub, der Nachbars Kirschbaum geplündert hatte, ohne erwischt zu werden. Wenn eins und eins zwei ergaben, dann wollte Schellenberg Werdins Flucht. Er wollte Werdins Verrat. Er wollte dem Feind etwas sagen, und zwar etwas, das nur einer sagen konnte, der am Uranprojekt in Haigerloch mitgearbeitet hatte. So gesehen, war alles gut berechnet. Die Bombe fällt, Werdin haut ab, verrät irgendwas über die Uranbombe, und die Feinde kriegen das große Flattern.
Das Unternehmen Götterdämmerung hatte Deutschland gerettet und die SS. Krause hatte sich nie viel vorgemacht. Viele Deutsche, auch solche, die den Führer liebten, hassten die SS. Ein bisschen besser wurde es, als selbst Wehrmachtoffiziere anerkennen mussten, wie mutig die WaffenSS an den Fronten kämpfte. Aber der Durchbruch war die Uranbombe. Himmler und die Bombe, das gehörte zusammen. Himmler erschien vielen Deutschen seitdem wie ein gütiger Vater, bescheiden, bodenständig, leise. Krause wusste es besser. Manchmal, besonders nachts, fürchtete er sich. Irgendwann würde herauskommen, was sie in Auschwitz und den anderen Lagern getrieben hatten. Dass die SS-Einsatzgruppen keineswegs nur Partisanen bekämpft hatten.
Gerüchte waren schon im Krieg im Umlauf gewesen. Man konnte nicht ein paar Millionen vergasen, erschießen oder totschlagen, ohne dass die Menschen etwas mitkriegten. Aber die meisten wollten es nicht wissen. Gäbe es eine freie Presse wie vor 33, käme alles heraus. Solange sich alle an die Nationale Versöhnung hielten, war es gut. Und selbst Leute, die den Anschlag auf den Führer verübt hatten, waren ja lange Zeit HitlerGläubige gewesen, manche von ihnen hatten im Osten mitgetötet. Die hatten keinen Grund, das Maul aufzureißen.
Im Zeichen der Nationalen Versöhnung hatte man sich darauf verständigt, der Führer sei einer Fliegerbombe zum Opfer gefallen. Einige hatten hartnäckig anderes behauptet, sie lebten nicht mehr, Fanatismus ist eine gefährliche Sache. Stauffenberg arbeitete im Oberkommando der Wehrmacht, die Zahl seiner Bewunderer hielt sich in Grenzen. Der alte Witzleben war Kriegsminister, aber das Sagen hatten Manstein und Rommel, die Helden bei der Verteidigung der Festung Deutschland. Bald musste ein neuer Verteidigungsminister ernannt werden, ein Talent aus München drängte sich auf, Franz Josef Strauß, ein pathetischer Nationalist, der seine Umgebung mit Versatzstücken humanistischer Bildung nervte. Aber der Mann hatte Biss. Man hatte andere junge Kräfte hinzugezogen, herausragend aber war nur Erhard, der dicke Wirtschaftsexperte mit den dicken Zigarren, »Schweinchen Schlau« nannten ihn manche. So, wie für die Deutschen Himmler die Rettung vor den Russen verkörperte, so verband sich Erhards Name mit dem Aufstieg aus Ruinen.
Das Telefon riss Krause aus seinen Gedanken. »Sie haben um sieben Uhr eine Verabredung im Restaurant Mampe.« Daran hätte ihn seine Sekretärin nicht erinnern müssen. Die Verabredung war eine vollbusige Brünette namens Waltraud, die er in der SD-Poststelle entdeckt hatte. Krause hatte sie durch die offene Tür beobachtet, als sie Briefe in die Fächer der Ämter und Abteilungen sortierte. Er sprach sie an, sie war offensichtlich beeindruckt, von einem hochrangigen SS-Offizier wahrgenommen zu werden, und nahm die Essenseinladung gleich an.
Sie lächelte dabei auf eine Weise, die in Krause die Hoffnung weckte, das Essen wäre nur das Vorspiel. Es gab glücklicherweise immer wieder Frauen, die auf Uniformen standen.
Krause ging zum Herrenklo und betrachtete sich im Spiegel. Er zog seinen Kamm aus der Gesäßtasche. Widerspenstige Haare klebte er mit Wasser an den Kopf. Er
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