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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Niederlage hätte der Wahrheit eine Chance gegeben. Die Uranbombe hatte die Deutschen befreit vom Zwang, ehrlich zu sein.
    Hinter ihm eine Stimme, er beachtete sie zunächst nicht.
    »Herr Werdin! Herr Werdin!« Sein Kopf erhitzte sich, als hätte jemand einen Schalter angeknipst. Er blickte sich um und erkannte einen kleinen Mann, der trotz der Nachmittagswärme Hut und Mantel trug. Der Adamsapfel sprang hervor. Aus einem langen, hageren Gesicht ragten wie Punkte zwei schwarze Pupillen heraus. Sie waren auf Werdin gerichtet. Der Mann kam immer näher. Dann stand er vor ihm. Jetzt fiel es Werdin ein. Rotterdam 1942, Operation Zigarre, die Jagd auf den britischen Agentenring, der hauptsächlich aus Holländern bestand. Ein Spitzel hatte den SD auf die Spur gebracht. Der Spitzel stand vor ihm.
    »Erinnern Sie sich nicht mehr an mich, Herr Werdin?«, fragte der Mann. »Oder soll ich sagen, Hauptsturmführer? Aber bestimmt hat man Sie inzwischen befördert.«
    Werdin versuchte sich an den Namen den Manns zu erinnern. War es Molden ?
    »Ach ja, Sie haben bestimmt meinen Namen vergessen, Pieter Mulden, wenn ich mich noch einmal vorstellen darf.« Er reichte Werdin die Hand.
    Werdin konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor ein so dreckiges Grinsen gesehen haben. Nicht einmal damals, als Mulden seine Kameraden hochgehen ließ. Er hatte ausgepackt und war bezahlt worden. Werdin hatte nicht erfahren, warum Mulden sich dem SD gestellt hatte. Er hätte den Fall zuständigkeitshalber der Gestapo übergeben müssen, aber den Streit darüber ertrug er leicht. Wer Erfolg hat, hat Recht. Seine Beliebtheit in Müllers Reich allerdings war nicht gewachsen.
    Mulden war klein, mager und schmierig. Über der Stirn hatte er lange Haarsträhnen von den Seiten herübergeholt und mit Pomade auf der Kopfhaut festgeklebt. Er war teuer gekleidet, es ging ihm wohl gut. Wahrscheinlich verdiente er sich seinen Lebensunterhalt als Zuträger, womöglich für mehrere Dienststellen gleichzeitig.
    Werdin murmelte Unverbindliches, während sein Hirn im Rekordtempo arbeitete. Er musste Mulden loswerden, und zwar für immer.
    »Nennen Sie mich Standartenführer«, sagte Werdin streng. »Gut, dass ich Sie treffe. Ich habe da eine ganz heiße Geschichte. Und es springt auch etwas für Sie heraus. Kommen Sie mit, wir suchen uns einen Platz, wo wir nicht gestört werden können.« Er schritt voraus. Sie gingen bis zum Ende des Bahnsteigs 7, außerhalb der Halle. Werdin erzählte dem Mann eine Räuberpistole über russische Spione, auf deren Spur er sei. Sie hätten inzwischen ein Netz in den Niederlanden aufgebaut. Eine riesige Belohnung sei ausgesetzt worden für jeden Tipp, der zur Verhaftung der feindlichen Agenten führe. »Eine Million«, flüsterte Werdin, obwohl niemand in ihrer Nähe stand.
    Mulden glotzte gierig. »Eine Million?«
    »Eine Million Reichsmark in bar.«
    »Das ist ja eine ganz große Sache«, sagte Mulden. Ehrfurcht klang in seiner Stimme.
    Werdin nickte. Er stand mit dem Rücken zum Bahnhofsgebäude und sah den Zug sich nähern. Zuerst die Wolke aus Rauch und Dampf. Dann wuchs ein schwarzer Punkt heran. Erleichtert bemerkte Werdin, dass der Zug ein Gleis ihres Bahnsteigs ansteuerte. Es war ein Güterzug, der sich wie eine unendlich lange Schlange auf sie zubewegte. Das Stampfen und Zischen war schon zu hören. Werdin bewegte sich allmählich zur Bahnsteigkante. Er sprach leise, so dass Mulden ihn nur verstehen konnte, wenn er direkt neben ihm stand. Werdin machte ihm den Mund wässrig, behauptete, schon eine Spur zu kennen, die Mulden nur weiterverfolgen müsse. Er sei Mulden immer noch dankbar für die Hilfe damals. Jetzt endlich könne er sich revanchieren. Fast hätte Muldens hässlicher Mund getrieft. Seine Augen hefteten sich an Werdin, er schaute ihn an wie die Verheißung. Reich sein, endlich reich sein. Und die Herren des mächtigen Deutschen Reichs seine dankbaren Gönner.
    Werdin blickte über den Bahnsteig, an dessen Ende sie standen. Er entdeckte niemanden in der Nähe. Im Rücken würde gleich der Güterzug durchfahren, auf der anderen Seite standen leere Personenwaggons. Als die Lok sie passiert hatte, griff Werdin nach Muldens Mantel, zerrte ihn zur Bahnsteigkante und stieß ihn hinunter. Mulden stürzte mit Entsetzen in den Augen in den Spalt zwischen Bahnsteig und Gleis. Die Räder eines Tiefladers zermalmten seinen Körper. Es würde eine Weile dauern, bis der lange Zug das Gleis passiert hatte. Erst dann würde jemand

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